Desinformation wurde in den letzten Jahren zu eine der größten Bedrohungen aufgebauscht. Damit wird unterstellt, dass die Bürger wehrlos und dumm sind und die schützende Hand der regierenden Politik benötigen.
Von Florian Rötzer
In der politischen, durch Kriegsstimmung geprägten politischen Arena werden keine größeren Differenzierungen gemacht. Daher wird hier auch gerne mit dem Doppelwumms gearbeitet, wenn es um Desinformation geht. Diese wurde in den letzten Jahren zur großen Bedrohung hochgespielt, die Demokratie und Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährdet. Dabei verbreiten Desinformation selbstverständlich nur die Gegner, die Äußerungen und strategische Kommunikation der Regierungsorgane werden in aller Regel nicht hinterfragt, sind sie doch systemstabilisierend, was den höchsten Wert darstellt.
Auch die Menschen glauben mittlerweile an die Dauerwarnungen. Nach der jüngst veröffentlichten Umfrage der Bertelsmann Stiftung glauben 84 Prozent der Befragten in Deutschland, Desinformation sei ein großes oder sehr großes Problem, für 81 Prozent stellt sie eine Gefahr für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar.
Dabei wird kaum jemals realisiert, dass die Voraussetzung des Wirkens von Desinformation oder anderen Beeinflussungsoperationen, denen wir im Alltag dauernd ausgesetzt sind, ein Bild vom unmündigen und dummen Menschen ist, der urteilsunfähig durch den Informationsdschungel irrt und ständig verführt wird, wenn er nicht an die Hand genommen wird – von der Regierung und ihren Organisationen, von vertrauenswürdigen Massenmedien, die die Furcht vor dem bösen Internet nähren, oder den vielen Desinformationsexperten und organisierten Faktencheckern, die sich ausgebreitet haben (dazu siehe auch: Telepolis oder der Journalismus für das betreute Lesen).
Mit diesen Desinformationsbekämpfungskampagnen, die die Regierungen, aber auch die StratComs der EU oder der Nato betreiben, wird just der Bürger entmündigt, der die Regierungen und ihre Organe durch freie Wahlen legitimieren soll. Und weil die Bürger die Richtigen wählen sollen, wird natürlich immer betont, dass mit Desinformationskampagnen der Gegner, denen die wehrlosen Bürger zum Opfer fallen, die Wahlen bedroht werden und man hierschützend auch mit Gesetzen wie dem gerade in Kraft getretenen Digital Services Act eingreifen muss, während man suggeriert, selbst trotz aller Berater, Spindoktoren, Werbeagenturen etc. interesselos der Wahrheit, der Demokratie, dem Zusammenhalt zu dienen.
Die Bundesregierung hat einen Schwerpunkt für den Umgang mit Desinformation eingerichtet: „Was macht die Bundes-Regierung gegen Falsch-Informationen? Die Bundes-Regierung schützt die Menschen.“ In „leichter Sprache“ formuliert – das FAQ ist insgesamt lesenswert, weil die leichte Sprache die üblichen Vernebelungsdarstellungen erschwert -, verrät die Bundesregierung, wo die Wahrheit sitzt – vor allem bei ihr selbst, bei den traditionellen Massenmedien und Organisationen wie Correctiv:
„Prüfen Sie: Woher kommt die Information? Suchen Sie die Information in verschiedenen Medien.
Vergleichen Sie die Informationen von mindestens 2 Quellen. Quelle bedeutet: Woher kommt die Information?
Suchen Sie die Information
- in den Nachrichten im Fernsehen
- in der Tages-Zeitung
- in der Wochen-Zeitung
- auf Internet-Seiten von der Bundes-Regierung:
www.bundesregierung.de
www.bmi.bund.de
www.germany4ukraine.de
- auf der Internet-Seite von Ihrer Landes-Regierung.
Finden Sie die Information dort auch? Dann ist sie wahrscheinlich richtig. Finden Sie die Information dort nicht? Dann ist es wahrscheinlich eine Falsch-Information.“
Der „hybride Angriff zur Desinformation“
Ein gutes Beispiel für die Instrumentalisierung des Begriffs der Desinformation der deutsche Verteidigungsminister Pistorius, der durch die Veröffentlichung eines abgehörten Gesprächs von Offizieren der deutschen Luftwaffe über die lange diskutierte Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine in die Bredouille kam. Veröffentlicht wurde es von der RT-Chefin Margarita Simonjan, inhaltlich wurden die Äußerungen nicht beanstandet, es ging darum, wie man die Raketen einsatzbereit etwa für Angriffe auf die Krim-Brücke den Ukrainern übergeben kann, ohne mit den Einsätzen etwas zu tun zu haben. Er reagierte am 3. März 2024 so:
„Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinformation – es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben. Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen.“
Hybrid klingt immer gut und gefährlich, werden mit dem Begriff doch militärische und nicht-militärische Mittel verbunden und die Unterschiede von Krieg und Frieden eingeebnet. Informationen werden damit zu Waffen und damit Teil des Angriffsarsenals. Pistorius beschwört die Veröffentlichung eines abgehörten Gesprächs, das offenbar über eine nicht gut gesicherte Verbindung geschah, als einen kriegerischen Angriff, der Desinformation zum Ziel habe. Die Verwendung des allgegenwärtigen Buzzword soll die Bedrohung und die Bösartigkeit des „hybriden Angriffs“ steigern, der eigentlich aus einer Nachlässigkeit des Militärs und dem paradoxen Eiertanz beruht, der Ukraine maximal militärisch zu helfen, ohne direkt in Konfrontation mit Russland treten zu wollen (dazu siehe auch: Krieg ist Frieden, Unwissenheit Stärke und Geleaktes ist Desinformation).
Dass der Minister in diesem Zusammenhang von Desinformation spricht, ist selbst schon eine Desinformation und spricht Bände. Die Veröffentlichung von vertraulichen Gesprächen von Offizieren müsste eigentlich als Information für die Bürger des Staats bezeichnet werden, für den die Militärs tätig sind. Wenn Aufzeichnung und Wortlaut der Transkription nicht manipuliert wurden, kann man in diesem Sinne nicht von einer Desinformation sprechen. Damit würde man Wahrheit mit Desinformation gleichsetzen. Pistorius meint wohl, dass man den veröffentlichten Wortlaut besser gar nicht zur Kenntnis nehmen soll.
Die Frage ist, ob der Inhalt des Gesprächs oder die Veröffentlichung die Desinformation ist. Es muss letztere sein, die nach dem Minister spalten soll. Die Bürger der westlichen Demokratien sollen offenbar nicht wissen, was ihre Verteidigungsministerien und Militärs bereden und vorhaben. Damit gehen sie auf den Leim von Putin und lösen sich aus dem Leim der Regierung.
Erstveröffentlicht im Overton Magazin v. 4.3. 2024
https://overton-magazin.de/top-story/verteidigungminister-pistorius-im-kampf-mit-oder-gegen-desinformation/
Wir danken für das Publikationsrecht.