Ukrainische Aktivist:innen demonstrieren gegen Menschenrechtsverletzungen der Selensky-Regierung

Alle Bilder: Jochen Gester

Am Sonntag Mittag gab es eine Aktion auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor, die etwas politisch Neues zum Ausdruck brachte. Junge ukrainische Bürger:innen, die zur Zeit in Deutschland leben, haben am wohl prominentesten Ort der Stadt versucht die Öffentlichkeit über politisch unhaltbare Zustände in ihrem Geburtsland aufmerksam zu machen und für ein Ende des Krieges demonstriert. Organisiert wurde diese Aktion vom Bündnis der postsowjetischen Linken (BPL), in dem sich Linke aus mehreren Staaten der ehemaligen Sowjetunion in der EU organisiert haben. Sie setzen sich für sozialistische Veränderungen im postsowjetischen Raum und für die Beendigung des Krieges ein, der für sie nur dann eine dauerhafte Perspektive erhält, wenn er von unten erkämpft wird. Sie wollen eine Plattform schaffen, die gemeinsame Diskussion zwischen abhängig Beschäftigten, Gewerkschaften sowie linken Organisationen aus den postsowjetischen Ländern und denen im Westen ermöglicht. Zu ihren konkreten Zielen gehört die Hilfe und Unterstützung für politische Gefangene, Flüchtlinge und Migranten:innen sowie die Organisation von Solidaritätskampagnen.

Angemeldet war die Aktion bei den Ordnungsbehörden mit folgendem Text: „Kundgebung gegen die Diktatur in der Ukraine, gegen die Entführung von Menschen durch Arbeiter von Territorialerwerbszentren, gegen die Gewalt ukrainischer Bürger in der Ukraine. Wir wissen nicht, wohin wir uns wenden sollen, da all diese Menschenrechtsverletzungen auf Befehl der ukrainischen Regierung geschehen. Wir möchten auch die Erinnerung an die Männer würdigen, die nach ihrer Entführung durch Mitarbeiter des Territorialerwerbszentrums starben.“

Die Aktionsgruppe hatte auch ein Flyer dabei, den sie jedoch auf Anweisung der Polizei nicht öffentlich verteillen durfte, da er kein Impressum enthielt. Natürlich war es interessierten Journalisten – so auch mir – möglich ein Exemplar zu bekommen, dessen deutsche Fassung ich hier widergebe:


Massenentführungen und Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung der Ukraine!

In einem Land, das der Welt verkündet, für Demokratie zu kämpfen, dringen Sicherheitskräfte in die Häuser derer ein, die von der Regierung kritisiert werden. Manchmal handelt es sich dabei um billige Einschüchterungstaktiken, aber in vielen dokumentierten Fällen sind Vollstreckungsbeamte in Privatbesitz eingedrungen, um Personen festzunehmen. Natürlich tun sie dies in Masken und sehen keine Notwendigkeit, ihre Dokumente irgendjemandem zu zeigen.

Im Krieg in der Ukraine sterben Menschen in Scharen. Aber die Grenze des Landes ist für Männer geschlossen, und sie können ohne Genehmigung des Einberufungsausschusses keinen Führerschein und keinen Reisepass erhalten und nicht einmal offiziell heiraten. Aber wenn man einmal einen Fuß in das Gebäude des Ausschusses gesetzt hat, lassen sie einen nicht mehr raus.

Eine Person mit einem medizinischen Problem kann in der Ukraine zum Wehrdienst eingezogen werden. Männer, die an Tuberkulose, Epilepsie oder Hepatitis erkrankt sind, und sogar körperlich behinderte Menschen wurden eingezogen.

Die UN ignoriert Briefe über diese Behandlung. Das Europäische Parlament stellt sich taub. Was wissen diese Menschenrechtsexperten über die Ukraine? Wissen sie, dass in der Ukraine Rechtlosigkeit die Norm ist? Die Regierung setzt ihren Willen durch, indem sie Bürger mit maskierten Schlägern zusammenschlägt? Das ist das Land, in dem man ohne Rückflugticket in die Armee eingezogen werden kann?

In einem mündlichen Beitrag berichtete ein Mitglied der Gruppe, dass viele Männer sich mittlerweile nicht mehr zur Arbeit, ja, nicht mal mehr auf die Straße, trauen, weil sie befürchten gekidnapt zu werden. Exemplarisch wurde das Schicksal von 7 Menschen dokumentiert, die das Militärregistrierungs- und Einberufungsamt entweder tot verlassen haben oder kurz darauf in einem Krankenhaus starben. Ihre Namen: Serhiy Konalosh, Serhiy Kovalchuk, Alexander Gashevsky, Andriy Panasyuk, Boris Glushak, Igor Meikher und Yuriy Protsyk. Eine staatliche Verfolgung der Täter finde nicht statt. Stattdessen werde die öffentliche Diskussion darüber als russische Propaganda abgetan.

Das Schicksal einiger dieser Männer war auch auf den Sandwiches der Aktionsgruppe dokumentiert.

Der Flyer enthielt ferner einen QR-Code mit dem Zugang zu einer ukrainischen Website, auf der die Behandlung von Wehrunwilligen dokumentiert werden soll.
https://drive.google.com/drive/folders/1fcdYW51i34GycZxCeA8Jd248XFiiYmt-?dmr=1&ec=wgc-drive-globalnav-goto

https://rivnepost.rv.ua/news/u-rivnomu-pomer-mobilizovaniy-ridni-zayavili-pro-mozhlive-pobittya

Schließlich war es ein Anliegen der Aktionsgruppe, dagegen zu protestieren, dass die hier skandalisierten Menschenrechtsverletzungen sowohl in den angelsächsischen als auch in den deutschen Medien sehr stark ausgeblendet werden.

Positiv sei abschließend bemerkt, dass die Aktion nicht von ukrainischen Nationalist:innen bedroht wurde, was man auch als eine langsame Veränderung des politischen Windes interpretieren kann.

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