von Jochen Gester & Hans Köbrich
Der 1. Mai 2022 steht im Schatten des Krieges in der Ukraine. Kein Tag und keine Nacht vergeht, ohne dass darüber auf allen Kanälen aus ukrainischer Sicht berichtet wird. – Nicht berichtet wird vom dagegen vom Angriffskrieg des NATO-Partners Türkei auf die autonomen selbstverwalteten kurdischen Gebiete. Auch nicht über die Schrecken des Krieges in den anderen Teilen der Welt wie z.B. im Jemen, wo eine Hungerkatastrophe droht.
Medial wird der Krieg Krieg in der Ukraine uns und der ganzen Friedensbewegung um die Ohren gehauen. „Kein bisheriger Krieg wurde in allen fürchterlichen Details so bildreich in die Hirne und Seelen gezwungen wie dieser, als sei es der Ur-Krieg, schreibt die Autorin Charlotte Wiedemann – Horror ohnegleichen.“ Das erzeugt einen individuell kaum zu ertragenden Druck … auch auf große Teile der Linken. Wir sollen mit diesen Bildern dazu gebracht werden die massive Aufrüstung, Waffenlieferungen und die Eskalation des Krieges nicht nur hinzunehmen, sondern womöglich noch zu unterstützen.
Der Krieg in der Ukraine wird massiv von der NATO unterstützt. Die Nato ist (indirekt) Kriegspartei. Damit ist der Krieg bedrohlich nahe an unsere Haustür gerückt. Und es stellt sich für alle die Frage: Wie gehen wir damit um?
Diese Frage stellt sich besonders in Deutschland, dessen Geschichte wie in kaum einem anderen Land durch den Krieg geprägt wurde. Das kaiserliche Deutschland hat den 1. Weltkrieg ausgelöst und Nazi-Deutschland den 2. Der Traum von Deutschlands Größe endete – zum Glück – mit der Niederlage der Kriegstreiber. Die arbeitenden Bevölkerung war ein gebranntes Kind. Nie sollte von deutschem Boden wieder ein Krieg ausgehen.
Doch es dauerte bis in die Mitte der 50er Jahre, bis gegen den Widerstand der Arbeiterbewegung wieder eine Armee aufgestellt wurde. Es dauert lange, bis Deutschland in den Nachbarländern wieder Vertrauen gewinnen konnte. Die Entspannungspolitik der 70er bot die Möglichkeit zu Versöhnung und Vertrauensbildung Diese außenpolitische Linie hatte allerdings nur Bestand bis zur „Wende“ und und dem Eintritt der Bundesrepublik in den völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg. In der Bevölkerung jedoch blieb die Ablehnung und Skepsis gegenüber den zunehmenden Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Für die machtpolitisch denkenden Eliten war es frustrierend zu erleben, wie schwer es in Deutschland war, den deutschen Rüstungshaushalt nach US-Vorgaben (auf 2% des Staatsbudgets) anzuheben. In den inneren Zirkeln der Macht wurde wohl lange darüber nachgedacht, wie diese schmerzliche Blockade aufgelöst werden kann. Die Politik der NATO war ebenfalls darauf angelegt.
Gegenüber Russland spielte sie voll auf Risiko, verbunden mit der Hoffnung, dass der geopolitische Konkurrent die Nerven verliert. Nachdem Russland sich durch einen Angriffskrieg vor aller Welt ins Unrecht setzte, kippte die öffentliche Stimmung gegen die Militarisierung der Außenpolitik. Quasi über Nacht und ohne Debatten in der Gesellschaft wurde im Bundestag eine „Zeitenwende“ verkündet. Danach sollte vieles, was bisher galt, nicht mehr gelten.
Der Umfang des dafür stehenden Parteienbündnisses von Regierung und Opposition erinnert an den Beginn des I. Weltkriegs, als fast alle erklärten, man dürfe das Vaterland in der Not nicht im Stich lassen, dabei aber Kriegstreibern die Hand gereicht haben. (Wobei heute für Vaterland die angeblich demokratischen Verhältnisse in der Ukraine stehen) Eine vergleichbar große Koalition im Bundestag gab es in den 80er Jahren für die atomare Aufrüstung Deutschlands mit Mittelstreckenraketen. Die damaligen Grünen waren die einzige Partei, die dagegen war. Es ist ein besonderer Treppenwitz der Geschichte, dass diese Partei, die sich damals „die Partei der Friedensbewegung nannte“ und durch eine starke Umwelt und Friedensbewegung in die Parlamente gespült wurde, heute zu den stärksten Befürwortern von Aufrüstung und einer Eskalation des aktuellen Krieges gehört.
Doch auch in der deutschen Arbeiterbewegung war die Haltung zum Kriege oft umstritten und führte zu politischen Spaltungen.
Wir stehen in der Tradition all derjenigen, die das Führen von Kriegen als Mittel zur Lösung von Problemen zwischen den Nationen grundsätzlich ablehnen. Wir kämpfen gegen seine Vorbereitung ebenso, wie für seine schnellmögliche Beendigung.
Unvergessen sind die roten Matrosen, die sich im November 1918 weigerten, für die Ehre ihrer Offiziere in einem Krieg verheizt zu werden, der schon verloren war und die mit ihrer Aktion die deutsche Novemberrevolution auslösten. Sie waren die eigentlichen Baumeister der Demokratie. Viele Gewerkschafter:innen waren im Widerstand gegen die Nazis. Sie wussten, dass Hitler Krieg bedeutet. Nach dem 2. Weltkrieg war es der DGB, der 1957 unter der Losung „Nie wieder Krieg“ gegen die Pläne der Adenauer-Regierung, die Bundeswehr mit Atomwaffen auszurüsten, zu Demonstrationen aufrief. Auch die Friedensbewegung der 80er Jahre hatte einen starken gewerkschaftlichen Flügel.
Der DGB schrieb in seinem Aufruf zum 1. September 2021:
„Er ist für uns ein Tag des Erinnerns daran, dass Deutschland angesichts der Menschheitsverbrechen der Nazis besondere Verantwortung für den Frieden trägt. Für uns steht fest: Wenn wir künftig friedlich und sicher zusammenleben wollen, brauchen wir eine Politik, die auf Abrüstung und Entspannung setzt, statt auf Aufrüstung und Abschreckung. Und wir brauchen eine Bundesregierung, die sich dafür mit aller Entschlossenheit einsetzt.“
Diese Worte haben ihre Aktualität durch die aktuelle Entwicklung nicht verloren. Ihre Konsequenz kann nur sein: Wir lehnen die erklärte „Zeitenwende“ ab und sagen dem Maßnahmepaket von Aufrüstung und Kriegsbeteiligung den Kampf an. Keine Aufrüstung, schon gar nicht als Verfassungsverpflichtung. Keine Waffenlieferung in Kriege.
Der erfolgreiche Kampf gegen den Klimawandel und für die Zukunft der Menschheit auf diesem Planeten steht und fällt mit der Ächtung des Krieges zugunsten der Regelung der internationalen Beziehungen im Geiste der friedlichen Kooperation. Für diese Anstrengung gilt es alle Kräfte zu konzentrieren. Wir sollten unseren Beitrag dafür leisten, dass diese Forderung auch in den Betrieben so laut wird, dass sie nicht mehr überhört werden kann.