Transformationskongress von IG Metall und IGBCE am 19./20. 10 in Berlin

Berliner Industriegewerkschaften mobilisieren für die Zukunft!

von Jochen Gester & Klaus Murawski

Unter dem Leitmotto „Zukunft gestalten in unsicheren Zeiten“ hatte die Berliner IG Metall Berlin gemeinsam mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie am 19./20.10 im ESTREL zu einer Konferenz eingeladen. Wie soll die industrielle Transformation im Sinne eines sozialen und ökologischen Wirtschaftens umgesetzt werden. Gekommen waren etwa 140 Gewerkschafter:innen, Wissenschaftler:innen und einige Lokalpolitiker:innen vor allem aus Berlin, aber auch aus anderen Regionen der Republik. Zumeist Betriebsräte aus großen gewerkschaftliche gut organisierten Betrieben, jedoch auch von kleineren Unternehmen.

Nach der Eröffnung durch den Geschäftsführer Jan Otto sprach die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey ein Grußwort, das viel Lob für die Arbeit der Betriebsrät:innen enthielt und die Kooperation mit der Landesregierung in rosigsten Farben zeichnete. Das war natürlich dick aufgetragenes Selbstmarketing. Jan Otto stellte das später doch etwas differenzierter dar. Natürlich sei er froh, dass die Politik in Berlin für gewerkschaftliche Anliegen ansprechbar sei, was im Vergleich zu den Verantwortlichen in Sachsen, die sich hier einfach taub stellen, sicher von Vorteil sei. Doch verwies er auch darauf, dass der unter seinem Vorgänger Michael Müller eingerichtete industriepolitische Dialog unter Giffey eher gebremst wurde.

Die Rolle der Gewerkschaften in der industriellen Transformation

Der Publizist und Journalist Albrecht von Lucke erhielt das Wort zum Einstieg in die Debatte. Er begann mit einem wirklich guten Fund der westdeutschen Gewerkschaftsgeschichte, dem Gewerkschaftstag der IG Metall in Oberhausen 1972. Auf dieser Veranstaltung, es war der letzte Gewerkschaftstag, den Otto Brenner noch erlebte, erwies sich die IG Metall als Pionier in der Präsentation zentraler Erkenntnisse, die sich heute unerbittlicher denn je als Herausforderung stellen. Er zitierte den SPD-Politiker Erhard Eppler wie folgt: Lebensqualität kann nicht mehr Funktion von Wachstum sein.

Wachstum hat nur insofern eine Legitimation, als es geeignet ist, die Lebensqualität zu fördern. Das stellt auch die Gewerkschaften vor die Aufgabe, darüber nachzudenken, was und wie produziert wird. Doch statt nun diese Vorlage zu nutzen, um zu untersuchen, wo die Gewerkschaften heute dabei stehen und wo die Hindernisse liegen, hier voranzukommen, empfahl er der Versammlung sich wie ein fester Block hinter die rot-grünen Parteien der Ampel zu stellen. Sie seinen die Garanten des sozial-ökologischen Umbaus. Er warnte sogar davor, sie unnötig unter Druck zu setzen, denn die Alternative sei nur das Ende aller Ansätze zu einem sozial-ökologischen Kurswechsel und eine Wende hin zur der AFD. Nun ist diese Sorge durchaus verständlich, doch bleibt es das Geheimnis Luckes, warum die Gewerkschaftsmitglieder dem rot-grünen Ampelpartnern so ein bedingungsloses Vertrauen schenken sollten. Die sozial-ökologische Wende wird momentan eher ausgesetzt und es sind die Lohnabhängigen, die von der Bundesregierung dafür ausersehen sind, die Zeche für das „Zeitenwende-Abenteuer“ zu zahlen, auch wenn die Rechnung durch staatliche Beihilfen ein wenig gedrückt wird.

Der Referent ließ auch keinen Zweifel darüber entstehen, dass das Revival des Nationen in der Politik der Bundesrepublik seine Zustimmung findet. Rückblickend spottete er über den Slogan der Grünen zur Wendewahl „Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter“- ein Motto, das auch heute eine geeignete Orientierung in der Klimakrise sein könnte. Schließlich verstieg er sich noch zu der Ansicht, die Gazprom-Nummer des Ex-Kanzlers Schröder sei die größte Schädigung der Demokratie der Nachkriegszeit. Es ist wirklich bizarr, welche Blüten gerade dem ehemals staats- und gesellschaftskritischen grün-alternativen Milieu entwachsen. Nachfragen, welchen Einfluss Gewerkschaften gegenüber den Lobbyisten und der Wirtschaft haben, wich von Luke aus.

Gute Arbeit in der Transformation gestalten

Demgegenüber war es ein echtes Highlight, dem Vortrag von Sabine Pfeiffer, Professorin an der Uni Erlangen-Nürnberg zu folgen, die sich dem Thema widmete, wie gute Arbeit in der Transfomation gestaltet werden kann. Sie war selbst einmal Mitglied der IG Metall und betriebliche Interessensvertreterin. Das bekam ihrem Vortrag ausgesprochen gut, denn Pfeiffer konnte die betrieblichen Herrschaftsstrukturen analysieren und auch die komplizierte technische Materie so erklären, dass alle verstanden, wo hier die Probleme liegen. Die Soziologin referierte ihre Forschungsergebnisse über die Umsetzung von KI in den Betrieben. Sie war davon beeindruckt, dass die Beschäftigten in einem von ihr untersuchten Betrieb die Probleme rund um diese Technologie auf einem hohen fachlichen und politischen Niveau diskutierten konnten. In der KI-Implantation kooperieren Statistiker und Informatiker mit den Beschäftigten, die über entscheidende Kentnisse bei der betriebliche Umsetzung verfügen.

Der Erfolg des technischen Prozesses hängt an sozialen Faktoren. Er wird nur gut gelingen, wenn es echte Partizipation gibt. Die Betroffenen wollen wissen, was mit ihnen geschieht, ob sie eine Beschäftigungszukunft haben und wie ihre Arbeitsbedingungen aussehen, ob sie Qualifikationsangebote bekommen und Sinn in ihrer Arbeit sehen. In der Umfrage des Forschungsprojekts erklärten 86%, sie wollten bei diesen Veränderungen gefragt werden, 81% waren bereit sich aktiv einzubringen und 73% forderten mehr betriebliche Mitbestimmung.

Sabine Pfeiffers Vortrag korrigierte auch eine verbreitete Ansicht, nach der die sozial-ökologische Transformation an der mangelnden Bereitschaft der Beschäftigten zu Veränderungen zu scheitern drohe. Sie wollen diese Veränderungen nur in ihrem eigenen Interesse beeinflussen können. Interessant waren auch die Antworten aus den Betrieben auf die Frage, wem die Beschäftigten ihr Vertrauen schenken. Da kommen zuerst die Betriebsräte und danach die Gewerkschaften. Mit Abstand dann die Arbeitgeber und interessanterweise am Schluss die Politik. Vielleicht sollte Albrecht von Lucke darüber mal nachdenken. Sabine Pfeifer wies ferner daraufhin, dass funktionsfähige Partizipation auch darauf angewiesen ist, dass im Partizipationsprozess ausreichende Zeitressourcen vorhanden sein müssen, soll das Engagement der Partizipierenden nicht dass führen, dass diese sich auf Grund der Überlastung in den Burn Out verabschieden.

Transformation – Fluch und Segen für Beschäftigte und Gesellschaft

Darauf folge eine Diskussion zwischen Francesco Grioli (IGBCE Vorstand), Betina Jarasch (Senatorin), Jürgen Kerner (IG Metall Vorstand) und den beiden Vortragenden mit Jan Otto.

Eine Ergebnis war: Grundsätzlich bestehen gute Chancen dafür, dass sich die Gewerkschaften in den Transformationsprozess konstruktiv einbringen können. Das Problembewusstsein bei der Politik ist vorhanden und Mittel zur Unterstützung gibt es auch. Jedoch müssen die Mittel z.B. bei der Wende von der Braunkohle zu neuen Industieren effizienter eingesetzt werden. KI ersetzt keine handwerkliche Arbeit, diese ist aber bei der Installation von Windkraftanlagen und Photovoltaik- Anlagen erforderlich. Der Fachkräftemangel durch die Babyboomer, die in den nächsten Jahren in Rente gehen, wirkt sich auf den Arbeitskräftemarkt aus. Das ist aber auch eine Chance für alle, die bereit sind sich aktive an der Transformation zu beteiligen.

Themenbezogene Foren

Der Nachmittag startete mit 4 Foren, auf die sich die Teilnehmer aufteilten. Bearbeitet wurden die Energieversorgung, die Mobilitätswende, die Kooperation zwischen Betriebsräten und wissenschaftlichen Einrichtungen sowie um die Befähigung der Betriebsrät:innen, die Geschäftsleitungen im Sinne der Beschäftigten so in die Pflicht zu nehmen, dass ihre Interessen im Transformationsprozess nicht unter Räder geraten.

Unter dem Thema „Betriebliche Transformation strategisch gestalten mit dem Zukunfts-Check“ stellte sich ein von der IG Metall ins Leben gerufenes Team von Kolleg:innen aus BadenWürttemberg vor, das die Interessensvertreter:innen der Belegschaft dazu befähigt, die technische Ausstattung, das wirtschaftliche Potenzial und die Entwicklungschancen der Firma zu erfassen und Ansätze zu einer strategischen Planung zu entwickeln. So soll ein Frühwarnsystem entstehen, das Betriebsrat und Belegschaft in die Lage versetzt, das Management frühzeitig zu Veränderungen zu drängen, die dem Erhalt der Arbeitsplätze, der Verteidigung der Einkommen und erkämpfter Arbeitsstandards dienen. Dies stieß auf großes Interesse, denn es lässt sich über den Betriebsrat auf Kosten des Unternehmens finanzieren und verspricht Hilfe, den Arsch zu retten, wenn die Firma sich vom Erfolg des Konzepts überzeugen lässt. Doch es hilft nur begrenzt weiter, wenn der Kapitalist nicht mitspielt, da ihm andere Optionen einfach vielversprechender sind. Wir kennen ja gerade aus Berlin dafür einige Betriebskonflikte, bei denen wir zum Schluss nur noch mit Trostpreisen dastanden.

Mobilität der Zukunft und die Bedeutung für Beschäftigte

Fanny Tausendteufel von der Agro Verkehrswende erläuterte unter dem Titel „Fairkehrswende“ die Chancen und Gefahren der Transformation zur CO2 freien Mobilität. Diese Wende hat 3 Prinzipien zu beachten:

  1. Die Ökobilanz, also z.B. keine teure Förderung von Hybid SUVs,
  2. die Kosten, also z.B. die kostenkose Einführung von einem Tempolimit und
  3. die Sozialen, Verzicht auf Subventionierung z.B. von riesigen Dienstwagen.

Um die Dekarbonisierung der Mobilität zu erreichen bedarf es neuerr Konzepte wie Car Sharing, kleinerer, leichter PKWs, Innovationen in neuen Produkten und neue Verkehrsraumaufteilung.

Argo stellte alle wissenschaftlichen Erkenntnisse auf den Prüfstein und kommt zum Ergebnis: durch die Transformation wird es vermutlich mehr Arbeitsplätze in der Automobilindustrie geben als jetzt, aber andere. In vier Jahren muss die Verkehrswende erreicht werden, denn gerade der kraftstoffbasierende Verkehr hat bisher alle Ziele der Treibhausgasreduzierung gerissen. In kurzer Zeit muss nachgeholt werden was in den letzten 16 Jahren Regierung nicht erreicht wurde.

Es gab in diesem Forum reichlich Diskussionsbedarf. Gerade in einer Stadt wie Berlin, erleben Autofahrer:innen das Leben anders als andere Verkehrsteilnehmer:innen. Die Staus beinträchtigen den PKW-Verkehr aber auch den ÖPNV. Doch der Verzicht auf den Luxus des eigenen PKWs fällt vielen Menschen schwer. Aber wir kommen nicht darum herum: der von PKW-Besitzer:innen beanspruchte Verkehrsraum ist gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmer:innen zu groß.

Dies waren die Erkenntnisse aus zwei Foren, die im Anschluss vorgestellt wurden.

Der Zweite Tag startete mit einem Grußwort von Robert Seifert (EVG). Der Kollege machte in seinem Vortrag deutlich, dass gerade die S-Bahn für Betrieb und Instandhaltung eine wichtige Basis für zukunftsweisende Mobilität in Berlin darstellt. Es bedarf mehr politischer Anstrengungen den ÖPNV auszubauen.

Es folgte eine Videobotschaft der DGB-Vorsitzenden Katja Karge. Die Kollegin ermutigte uns, sich als Industriegewerkschaften unter den politisch schwierigen Bedingungen und dem Krieg in der Ukraine uns den Herausforderungen zu stellen. Die arbeitenden Menschen hätten ein Recht auf nachhaltige staatliche Unterstützung in der jetzigen wirtschaftlichen Situation. Die Tarifrunden werden durch Lohnerhöhungen die Teuerung nicht voll ausgleichen können. Es bedarf der gesellschaftlichen Solidarität.

Eröffnungsrede zur Mitgestaltung bei der Transformation

Gerade deshalb ist es politisch sehr wichtig, dass es innerhalb des DGB endlich eine Initiative gibt, die zum Ziel hat, die begrenzten Rechte, die Betriebsräten nach dem geltenden Betriebsverfassungsgesetz zustehen, unter veränderten Bedingungen zu erhalten und darüberhinaus deutlich zu erweitern.

Christiane Benner, die 2. Vorsitzende der IG Metall zeigte in ihrer Rede die Grenzen der Einflussnahme der Gewerkschaften, Betriebsräte und Beschäftigte bei der Transformation auf. Es braucht mehr Mitbestimmung. Benner stellte einen vom DGB erarbeiteten Entwurf zu einer Reform des Betr.Verf.G – vor – ein umfangreiches Dokument von 80 Seiten.

Mehr hier: https://www.igmetall-berlin.de/fileadmin/user/News/2022/Q4/Dokumente/2022_10_20_DGB_Betriebliche_Mitbestimmung_fuer_das_21._Jahrhundert-_Gesetzentwurf.pdf

Zusammenfassend ist unser Resümee: Es war ein wichtiger und anregender Kongress, den die Berliner IGM angestoßen und konzipiert hat. Er machte Hoffnung, dass die Organisation sich befähigen kann, die Interessen der Lohnabhängigen in den bevorstehenden schwierigen Umbruchprozessen zu verteidigen.

Diese Seite verwendet u. a. Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung