Wer sind die Abu Sittas?

Die polizeiliche Auflösung des Internationalen Palästinakongresses in Berlin war das Ergebnis mehrfacher massiver Rechtsbrüche durch die deutsche Polizei und die sie offensichtlich zu diesem Einsatz drängenden Verantwortlichen in der Politik. Das Rechtsanwält:innenteam des Kongresses hat dies auf eine sehr gründliche Weise dokumentiert. Wir haben diese Stellungnahme hier auch publiziert. Die meisten Medien haben davon wenig Kenntnis genommen, und auch große Teile der Linken haben es vorgezogen angesichts des massiv vorgetragenen Diskurses zur sog. deutschen Staatsräson den Kopf einzuziehen. Es war klar, dass dieser Kongress unerwünscht war und nach Vorwänden gesucht werden musste, um sein Stattfinden zu torpedieren und der Öffentlichkeit zu verkaufen.

Bei dieser Geschichte erhielten zwei Mitglieder der palästinensischen Familie Abu Sitta eine Art Kronzeugenrolle zugeschoben. Es geht zum einen um den heute 86jährigen Forscher Salman Abu Sitta, der die Nakba, die Vertreibung der Palästinenser:innen noch als 10-jähriger erlebte und dessen Familie in Palästina über Vermögen und Grundbesitz verfügte. Er verlor all dies und sah seine Heimat nie wieder. Die Nahost-Journalistin Karin Leukefeld konnte am 17. Mai 2023 ein längeres Gespräch für das schweizerische Portal Globalbridge mit ihm führen. Hier ist auch ein Offener Brief abgedruckt, den Sitta an die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, verfassst hatte. In beidem kann man sich ein Bild von der Person machen, um die es hier ging.

Die Ordnungsbehörden begründeten ihr Tun – also den Abbruch des Kongresses und die Stromsperrung – mit der Behauptung, es sei zu erwarten gewesen, dass Salman Abu Sitta den Terror der Hamas am 7. Oktober rechtfertigen werde. Es war aber mittlerweile allen Beteiligten klar, dass Abu Sitta persönlich gar nicht an diesem Kongress teilnehmen würde, da er zur unerwünschten Person erklärt worden war und nicht einreisen durfte. Es wäre also um eine per Video verbreitete Grußbotschaft des Palästinensers gegangen.

Auf eine solche konnte sich das Verbot des Kongresses nie stützen, weil das Versammlungsrecht für das Verhindern eines Rechtsbruchs durch eine bestimmte Person die pysische Anwesenheit der Person voraussetzt. Ein Abspielen dieses Videos wäre also in jedem Fall kein ausreichender Grund für Verbote aller Art. Doch auch der politische Vorwurf der Terrorunterstützung selber ist wenig fundiert.

In der Begründung des Innenministeriums heißt es, er habe geschrieben, wäre er jünger gewesen, hätte er wahrscheinlich an der Hamas-Attacke vom 7. Oktober teilgenommen. Zum Inhalt dieses Blogs schrieb die Washington Post: „The furor related to a January blog post in which Salman Abu Sitta wrote that he “could have been one of those who broke through the fence” if he were younger and still lived “in the concentration camp called the Gaza Strip.” Der Autor dieser Zeilen sagt eigentlich hier nicht mehr, als dass er auch einer der Palästinenser hätte sein können, die nach Öffnung des Zaunes durch die Hamas der Besatzungsmacht einen unerlaubten Besuch abgestattet hätte. Daraus ergibt sich überhaupt nicht, dass er sich auch an ihrer Mordorgie hätte beteiligen wollen. Justiziabel ist dies in jedem Fall nicht.

Die zweite Person aus der Familie ist Ghassan Abu Sittah, der Neffe von Salman. Über ihn schreibt Pauline Jäckels im nd: „Eigentlich sollte Ghassan Abu-Sittah am Wochenende beim umstrittenen Palästina-Kongress in Berlin über die katastrophale Lage in Gazas Krankenhäusern sprechen. Das tat der palästinensisch-britische Spezialist für rekonstruktive Chirurgie in den vergangenen Monaten fast ununterbrochen – etwa als Hauptprotagonist in Berichten von BBC, der »Washington Post« oder des »Spiegel«. Denn Abu-Sittah war nach dem 7. Oktober letzten Jahres 43 Tage lang in Gaza, um Verwundete zu behandeln. Dafür wird er international als Held gefeiert. Als er am Freitag am Berliner Flughafen ankam, wurde er von der Polizei festgehalten – er dürfe nicht ins Land einreisen und solle ein Ticket zurück nach Großbritannien buchen.“

Auch gegen ihn wurde der Vorwurf erhoben, er unterstütze den Hamaas-Terror. Laut der britischen Zeitung »The Jewish Chronicle« soll er vor drei Jahren bei der Beerdigung des Mitgründers der Palästinensischen Befreiungsfront (PFLP) Maher Al-Yamani gesagt haben: »Trotz seiner Abwesenheit macht er dem Feind immer noch Angst.« Der bewaffnete Flügel der PFLP war an den Massakern vom 7. Oktober beteiligt. Diese Beerdigungsrede dürfte eher den persönlichen Respekt vor einem Menschen ausdrücken, der sein Leben dafür eingesetzt hatte, dass es eine Zukunft in Palästina gibt, in dem die Rechte der Palästinenser:innen respektiert werden. Ghassan Abu Sittah jedenfalls hat erklärt, er sei weder Mitglied der PFLP und unterstütze weder palästinensischen Terror noch die Attacke der Hamas am 7. Oktober 2013. Auch hier bleibt an juristisch tragfähigen Vorwürfen nichts im Sieb. Die dem Rechtstaat verpflichtete Ordnungsmacht steht jedenfalls blamiert da. Ob dies auch für die Justiz zutrifft, wird sich zeigen.

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