Wunder gibt es doch

BILD: Eduardo Fachal, ein die Militärdiktatur überlebender Gewerkschafter auf der Internationalen Konferenz von Beschäftigten des damaligen DaimlerChrysler-Konzerns in Berlin 2006

Von Gaby Weber

Morde an den argentinischen Mercedes-Gewerkschaftern werden verhandelt.

Am vergangenen Mittwoch hat der Oberste Gerichtshof Argentiniens seine Entscheidung bekannt gegeben: Das Verfahren gegen den früheren Mercedes-Manager Juan Ronaldo Tasselkraut wird eröffnet – fast 50 Jahre nach den Morden an den 14 Betriebsaktivisten. „Besser spät als gar nicht“, so der ehemalige Betriebsrat Eduardo Fachal, der das Massaker überlebt hatte.


Während der argentinischen Militärdiktatur (1976 bis 1983) sind 14 kämpferische Gewerkschafter des Mercedes-Werkes in González Catán von den Militärs verschleppt und anschließend ermordet wurden. Sie gelten als „verschwunden“. Vorher waren sie – nachweislich in einigen Fällen – von der Werksleitung als „Subversive“ bei der Militärregierung denunziert worden, was damals ein Todesurteil bedeutete. Produktionschef Tasselkraut hatte im Beisein des festgenommenen Arbeiters Héctor Ratto die Adresse eines Kollegen an die Uniformierten weitergegeben, der noch in der selben Nacht verschleppt wurde und von dem bis heute jede Spur fehlt.

Tasselkraut stand unter Druck, sagte er 2001 vor dem Wahrheitstribunal aus; wegen der zahlreichen Proteste der Belegschaft war die Produktion massiv gesunken, Sabotage an der Tagesordnung. Erst nachdem 14 Aktivisten ermordet wurden, „normalisierte“ sich die Lage. Vom Richter befragt, ob zwischen den Verschleppungen und dem erneuten Anstieg der Produktivität ein kausaler Zusammenhang bestünde, antwortete er: „Wunder gibt es nicht, Euer Ehren“. So auch der Titel meines Dokumentarfilms über den Fall, der später vom WDR plagiiert wurde.

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„“Wunder gibt es nicht – 2017”“ direkt öffnen

Mit der höchstrichterlichen Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens gab es doch ein Wunder. Sowohl die deutsche Justiz als auch der Supreme Court der USA hatten dies abgelehnt und wirtschaftliche Interessen wichtiger als die Menschenrechte erachtet. Overton berichtete darüber.

Die Aussage eines Opfers – in diesem Fall des nachweislich gefolterten Häftlings Ratto – dürfe der Aussage eines Beschuldigten nicht gleich gesetzt werden, monierten die Richter, es stehe nicht Aussage gegen Aussage. „Das Prinzip Aussage gegen Aussage bedeutet Straflosigkeit“, hatte der Vertreter der Kläger, Rechtsanwalt Fernando Almejud vom Menschenrechts-Sekretariat vor Gericht argumentiert. „Die Repression geschah im Geheimen, ohne richterliches Zutun. Sie war illegal. Daher muss die Aussage des Opfers höher bewertet werden als die des Täters.“ Das Gericht schloss sich dieser Auffassung an.

Nun wird es einen öffentlichen Strafprozess gegen Tasselkraut geben. Ob der Angeklagte jemals einen Tag im Gefängnis verbringen wird, ist mehr als fraglich. Er ist inzwischen über 70 Jahre alt und wird, falls er verurteilt wird, Hausarrest beantragen. Er besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, und die Daimler AG wird ihn sicher nicht fallen lassen. Im Oktober sind Präsidentschaftswahlen, und die Vorwahlen gewann der Ultrarechte Javier Milei, dessen rechte Hand ist bekennende Bewunderin der Militärdiktatur und hat sich wiederholt gegen die juristische Aufarbeitung dieser Verbrechen ausgesprochen. Trotzdem: Mit dieser Entscheidung wird das deutsche Traditions-Unternehmen zumindest symbolisch auf der Anklagebank sitzen; es hat sich bis heute für seine damalige Tatbeteiligung nicht entschuldigt.

Erstveröffentlicht im Overton Magazin
https://overton-magazin.de/top-story/wunder-gibt-es-doch/
Wir danken Gaby für die Überlassung des Artikels.

Und hier noch ein kurzer Rückblick auf damaligen Solidaitätsaktivitäten innerhalb der Berliner IG Metall:

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