VON ANDREAS BANGEMANN
Private-Equity-Investoren übernehmen Arztpraxen und gefährden laut Experten die Therapiefreiheit im deutschen Gesundheitssystem. Die Kolumne „Gastwirtschaft“.
Bild: sozialismus.ch. https://sozialismus.ch/positionen-der-bfs/2020/schweiz-die-oekonomisierung-des-gesundheitswesens/
Fälle, Fälle, Fälle – und vor allem lukrative Fälle“, fordert die Geschäftsführung. Die Ärztin Eleonore Zergiebel beschrieb damit auf dem Deutschen Ärztetag keine Ausnahme, sondern den Alltag in investorengesteuerten Medizinischen Versorgungszentren. Wo einst der hippokratische Eid galt, droht heute die Quartalsbilanz. Professorin Vittoria Braun warnt vor drohendem „Sinnverlust des ärztlichen Tuns“. Noch setzten sich unzählige Ärzte verantwortungsvoll für ihre Patienten ein. Doch das System dränge sie zunehmend, ökonomische über medizinische Prioritäten zu stellen – eine moralische Zerreißprobe für alle, die aus Berufung heilen wollen.
Diese Entwicklung folgt bekanntem Muster. Was mit Stromnetzen begann, sich auf Wohnraum ausweitete und die Altenpflege erreichte, macht vor Arztpraxen nicht halt. Private-Equity-Investoren nutzen ein Schlupfloch: Sie kaufen ein Krankenhaus, das dann unbegrenzt Praxen erwerben darf. Mit Fremdkapital finanziert, werden die Schulden auf die Praxen abgewälzt. Das Ziel: 15 bis 20 Prozent Rendite. Das Mittel: maximaler Durchsatz bei minimalen Kosten. Gerhard Schick von der Organisation Finanzwende warnt vor Insolvenzen ganzer Praxisketten. Während die Gewinne in Steueroasen flössen, verblieben Schulden im deutschen Gesundheitssystem. Der ökonomische Imperativ, aus Geld mehr Geld zu machen, kolonisiert das ärztliche Ethos.
Ein Fremdbesitzverbot für Finanzinvestoren, wie es der Europäische Gerichtshof für Anwaltskanzleien bestätigt hat, wäre ein notwendiger erster Schritt. Wenn die Unabhängigkeit der Rechtspflege schützenswert ist, dann gilt das umso mehr für die Therapiefreiheit in der Medizin. Karl Lauterbach kündigte Ende 2022 an, die „absolute Profitgier“ stoppen zu wollen. Passiert ist nichts.
Die eigentliche Krankheit liegt aber tiefer. In einem System, das jeden Lebensbereich zur Renditequelle degradiert. Solange Kapital durch bloßen Besitz wächst, werden menschliche Grundbedürfnisse zu Waren. Eine Wirtschaft jenseits dieser Zwangslogik müsste Gesundheit als öffentliches Gut definieren. Ein weiterer Schritt wäre es, das Geldsystem selbst als öffentliches Gut zu definieren und von der Kapitalrenditelogik zu befreien.
Wenn die Kommerzialisierung weiter um sich greift und Heilen zur Nebensache wird, verliert ein System das Wertvollste: den Sinn.
Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift „Humane Wirtschaft“.
https://humane-wirtschaft.de/
Erstveröffentlicht in der FR v. 17.11. 2025
https://www.fr.de/wirtschaft/gastwirtschaft/kapitalinteressen-verdraengen-ethos-in-medizinischen-versorgungszentren-94042477.html
Wir danken für das Publikationsrecht.