Die Ukraine benötigt Steuereinnahmen und Soldaten, nach Auskunft eines Abgeordneten der Präsidentenpartei sollen die Gutverdiener und die Beamten zahlen, aber keinen Kriegsdienst leisten müssen.
Von Florian Rötzer
An der Front sieht es derzeit weiterhin nicht gut für die Ukraine aus. Langsam rücken russische Truppen an einigen Abschnitten wie bei Bachmut, Ugledar oder Awdijiwka vor, die Ukrainer leisten Widerstand, während in fieberhafte Eile viel zu spät Verteidigungslinien aufgebaut werden, was die Russen bereits 2023 gemacht hatten. Drei Linien über 2000 km Länge sollen es werden, ähnlich wie die russischen mit Drachenzähnen, Panzergräben, Minenfeldern und Stützpunkte.
Die russische Artillerie ist derzeit weit überlegen und kann 10.000 Schuss abfeuern, die ukrainische 2000. Dazu kommen die Fliegerbomben, die kaum abgwehrt werden können. Besonders furchtbar müssen die eineinhalb Tonnen schwerden, zur Hälfte aus hochexplosiven Sprengstoff bestehen FAB-1500-Bomben sein, die von Flugzeugen aus der relativ sicheren Entfernung von 50-60 km abgeworfen werden und eine ziemlich gute Treffergenauigkeit haben sollen. Für viele sei das kaum auszuhalten und verursache einen Schock. “Das ist die Hölle“, berichtete ein ukrainischer Soldat.
Der ukrainische Militärgeheimdienstchef Budanow kündigte eine große Offensive auf der Krim an. Dis bislang erfolgten Angriffe mit Wasserdrohnen und Raketen seien nur das Vorspiel gewesen. Was geplant ist, wenn es sich nicht nur um einen Blöff handelt, sagte er nicht. Hingewiesen wird auf die Spezialeinheit „Shaman“, die den Dnjepr überquerte und bei Krynky unter hohen Verlusten einen Brückenkopf einrichten konnte. Unklar ist, ob die wenigen ukrainischen Soldaten, die nicht wirklich versorgt werden können, inzwischen den Brückenkopf geräumt haben oder ihn noch verteidigen. Das ist eher eine symbolische Aktion, nicht strategisch wichtig. Möglicherweise sollen Einheiten in einer Art Selbstmordaktion einen Brückenkopf auf der Krim einrichten. Auch das wäre ein zeitweiser symbolischer und medialer Erfolg, aber vermutlich ohne anhaltende Wirkung. Wahrscheinlich werden solche vereinzelten Erfolge derzeit als wichtig erachtet, um die Kampfmoral auch in der Bevölkerung und bei den Unterstützerländern der Ukraine aufrechtzuerhalten.
Das Mobilisierungsgesetz, mit dem neue Soldaten an die Front gebracht werden sollen, um die Verluste zu ersetzen und Einheiten an der Front, die seit langem kämpfen, abzulösen, ist weiter in Bearbeitung und höchst umstritten. Die Rada drückt sich vor der Verabschiedung, es ist nicht bekannt, wann das Parlament wieder tagen wird. Wer sich bislang nicht freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hat, wird nicht begeistert sein, unter Zwang eingezogen zu werden. Die Abgeordneten und der Präsident erwarten, dass die Wehrpflichtigen und deren Angehörigen revoltieren könnten.
Aber jetzt kommt noch eine Initiative dazu, die die Stimmung im Land endgültig zerrütten könnte. Das Ministerkabinett plant, wie der Abgeordnete Alexej Gontscharenko von der Präsidentenpartei Diener des Volks berichtet, dass Männer ab einem bestimmten Einkommen vom Wehrdienst befreit werden sollen. Hintergrund ist, dass die Kriegsführung mit Steuergeldern bezahlt werden muss, da die westlichen Unterstützerstaaten bislang nicht direkt das Militär finanzieren, sondern nur Waffen und Munition liefern und die staatlichen Strukturen aufrechterhalten. Für die benötigten Hunderttausende von neuen Soldaten fehlt das Geld, die Steuereinnahmen werden auch sinken, wenn so viele nicht mehr arbeiten sollten. Eine Idee ist daher, dass sich diejenigen, die relativ viel verdienen und auch Steuern zahlen, sich vor Wehrdient freikaufen können. Den Krieg führen würden dann die Armen, die ihre Arbeitgeber nicht überreden können, ihren Lohn entsprechen zu erhöhen.
Gontscharenko spricht von Sozialdarwinismus, wenn Beamte und Reiche ihr Leben nicht riskieren müssen. Offenbar ist geplant, dass alle, die mehr als 35.000 UAH (ungefähr 830 Euro) im Monat, das Doppelte des Durchschnittslohns, verdienen, nicht eingezogen werden. Auch wer eie Einkommensteuer in Höhe von mehr als 6300 UAH zahlt oder eine Sozialsteuer von 7700 UAH entrichtet, soll weiter zahlen, aber nicht kämpfen müssen. Das würde u.a. IT-Spezialisten betreffen. Ausgenommen werden sollen auch höhere Beamte, Polizisten und Angestellte in Verteidigungs-, Industrie- und Treibstoff, Energie- und Telekommunikationsunternehmen.
Das kommt selbst bei den Freiwilligenverbänden wie Asow nicht an. Maxim Zhorin, der stellvertretende Kommandeur der 3. Angriffsbrigade, eine Eliteeinheit, die aber Awdijiwka nicht verteidigen konnte, erklärt, die Situation an der Front werde katastrophal. Die Kritik an der Regierung folgt: „Anstatt die Herangehensweise an Rekrutierung und Ausbildung zu ändern, beschlossen sie, das Prinzip ‚Krieg nur für die Armen‘ zu legitimieren. Jetzt steht die Ukraine an der Front vor sehr ernsten Prüfungen. Aufgrund verschiedener beschissener Initiativen und der Verzögerung des Prozesses werden wir eine katastrophale Situation haben.“
Erstveröffentlicht im Overton Magazin
https://overton-magazin.de/top-story/ukraine-geringverdiener-an-die-front/
Wir danken für das Publikationsrecht.