Deserteure und Kriegsdienstverweigerer brauchen Schutz und Asyl! Veranstaltungsbericht

von Werner Ruhoff

Seit der militärischen „Sondermaßnahme“, so lautet die von Moskau oktroyierte Sprachregelung für den Überfall auf die Ukraine, entziehen sich viele Wehrpflichtige dem drohenden Militärdienst. Mehr als 100.000 verwundete und getötete Soldaten gibt es inzwischen sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer Seite.

Der 1. Dezember ist der Tag der Gefangenen für den Frieden. Unter diesem Motto gab es am Vorabend eine Veranstaltung im Haus der Demokratie. Franz Nadler ist langjähriger Vorsitzender von Connection eV, einer Organisation, die sich im Rahmen der War Resisters Internatioanal für die Rechte der Kriegsdienstverweigerer weltweit einsetzt und deswegen über Kontakte in Russland und in der Ukraine verfügt. Er berichtete mit kenntnisreichen Details über die Situation der Deserteure, Militärdienstentzieher und Kriegsdienstverweigerer in Russland, Belorussland und in der Ukraine. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das laut UNO und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu den grundlegenden Menschenrechten zählt, wird in allen drei Ländern verwehrt. Problematisch ist, dass Kriegsdienst-verweigerern kein Asyl gewährt wird.

Russischen Kriegsdienstverweigerern ist der Zugang zur EU versperrt, obwohl der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, die russischen Soldaten am 6. April dazu aufgefordert hat, das Kämpfen aufzuhören. Laut Connection eV. sind Anfragen für Aufenthaltsrechte in EU-Ländern sämtlich abgelehnt worden oder unbeantwortet geblieben. Russen, die vor dem Militärdienst auf der Flucht sind, aber keinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt haben, sind sogenannte Militärdienstentzieher. Sie machen die weitaus größte Anzahl aus. Mittlerweile haben mehr als 150.000 Menschen im wehrpflichtigen Alter von 18 bis 60 Jahren Russland verlassen. Sie haben ebenfalls kaum eine Chance in ein EU-Land zu kommen. Deshalb sind sie vor allem nach Georgen, Serbien und in die Türkei geflüchtet, wo ihnen aber womöglich auch eine Auslieferung an Russland droht. In Deutschland ist man immerhin bereit, russische Deserteure nach ausführlicher Prüfung aufzunehmen. Flüchtige aus Russland berichten von einer schlechten Truppenmoral und einer miserablen Ausrüstung der russischen Armee.

Während die ukrainische Regierung verkündete, ihre Armee habe die Einnahme Kiews durch einen starken Kampfeinsatz abgewehrt, haben russische Soldaten berichtet, dass sich viele ihrer Kameraden nicht an einem absehbaren Massaker für die Einnahme der ukrainische Hauptstadt beteiligen wollten. Da es sich offiziell nicht um einen Krieg handelt, wurden die Verweigerer vom Dienst suspendiert aber nicht mit Gefängnis bestraft. Das führte dazu, dass der russischen Armee mit der Zeit Soldaten fehlten. Mit der Ankündigung einer allgemeinen Einberufung, die nicht generell aber punktuell angewandt wird, begannen in vielen russischen Städten trotz der Strafandrohungen zahlreiche Proteste, bei denen etwa 20.000 Menschen festgenommen wurden. Ihnen droht bis zu 15 Jahren Haft, je nach Schwere der Vorwürfe. Vermehrt wurden Söldner und Männer in Sibirien angeworben, und bemerkenswert ist, dass auf einen getöteten Soldaten aus Moskau oder Sankt Petersburg bis zu dreihundert getötete Burjaten und Kalmücken kommen.

Aus der Ukraine, wo die Wehrpflicht seit dem russischen Überfall auch 18 bis 60 Jahre beträgt, entfernen sich ebenfalls Wehrpflichtige, obwohl die Stimmung für eine militärische Verteidigung gegen die russische Armee im allgemeinen überwältigend ist. Die Zahl von etwa 140.000 Ukrainern wurde genannt, die sich dem Wehrdienst durch Emigration entziehen und vor allen Dingen aus der Mittelschicht stammen. Das hat Maßnahmen der Regierung ausgelöst, mögliche Fluchtrouten über Ausfallstraßen und in Grenzregionen durch dichte Kontrollen zu blockieren. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das in der Ukraine per definitionem nur für Angehörige religiöser Minderheiten gilt, ist quasi ausgesetzt. Die pazifistische Gruppe, die sich unter großen Gefahren für Leib und Leben – vor allem durch eine äußerst brutale, ungehinderte Gewalt der Faschisten bedroht – zur Kriegsdienstverweigerung bekennt, zählt kaum 100 Menschen. Verweigerer wie Ruslan Kotsaba, die sich öffentlich geweigert haben, am Krieg teilzunehmen, müssen sich vor Gericht verantworten und werden mit Gefängnis bestraft. Ukrainische Kriegsdienstverweigerer erhalten ebenfalls in Deutschland kein Asyl. Inzwischen haben auch mehr als 20.000 Weißrussen ihr Land verlassen, und seit den zahlreichen Protesten in Minsk und anderen Städten ist die Stimmung gegen das Regime hier größer als in Russland.

Inzwischen gibt es eine europaweite Petition, um eine Garantie zum Schutz von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern zu erreichen, ebenso einen Aufruf von etwa 100 Organisationen aus mehr als zwanzig Ländern an das EU-Parlament. In Berlin wird es am 8. Dezember vor der Vertretung der Europäischen Kommission – Unter den Linden am Brandenburger Tor – um 11 Uhr eine Aktion zum Schutz der Deserteure und Kriegsdienstverweigerer geben (siehe PDF).

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