27/09/2024
Von Benedikt Hopmann
Bild: Ingo Müller
Der Antrag des Senats auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hatte in der ersten Instanz Erfolg: Das Arbeitsgericht unterband den Streik, weil die Gewerkschaft noch in der Friedenspflicht stehe. Das Arbeitsgericht führt “bestehende Entlastungsregelungen für Auszubildende” an, die tariflich geregelt seien und die Gewerkschaften nun zur Friedenspflicht zwinge. Doch ein besserer Betreuungssschlüssel, den ver.di jetzt fordert, ist etwas ganz anderes als “Entlastungsregelungen für Auszubildende”[1]. Zur Regelung eines Betreuungsschlüssels gibt es keinen Tarifvertrag, so dass auch keine Friedenspflicht der Gewerkschaft besteht.
Das Arbeitsgericht meinte außerdem, der Senat müsse nicht über einen besseren Betreuungsschlüssel verhandeln, weil er “das Risiko eines Ausschlusses aus der Tarifgemeinschaft der Länder bei einem eigenständigen Tarifabschluss nicht eingehen” müsse[2]. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch mehrfach hervorgehoben, dass für Ziele, die in einem Tarifvertrag regelbar sind, gestreikt werden darf. Ein Tarifvertrag zur Entlastung ist unbestreitbar ein Streikziel, das sich durch Tarifvertrag regeln lässt, und ist damit als Streikziel zulässig. Dagegen hat das Arbeitsgericht einen völlig neuen Maßstab entwickelt, an dem es die Zulässigkeit von Streikzielen beurteilt. Es illegalisiert ein Streikziel, weil es das Risiko enthalten soll, dass der bestreikte Arbeitgeber, das Land Berlin, aus dem Arbeitgeberverband – hier die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) – ausgeschlossen werden könnte. Der Ausschluss von Mitgliedern aus dem Arbeitgeberverband TdL wird ausschließlich vom Arbeitgeberverband selbst geregelt. Würde davon das Streikrecht der Gewerkschaft abhängen, so könnte der Arbeitgeberverband über diese internen Regelungen, auf die ver.di keinerlei Einfluss hat, bestimmen, ob ver.di streiken darf oder nicht. Einen solchen neuen Maßstab in einem vorläufigen Verfahren, in dem nur summarisch geprüft werden kann, aus dem Hut zu zaubern[3], kann nur als skandalös bezeichnet werden.
Ver.di kündigte an, in die nächste Instanz zu gehen. Der Rechtsstreit ist also noch nicht zu Ende, sondern wird in der nächsten Woche vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg fortgesetzt werden.
Ein Problem könnte allerdings im weiteren Verlauf dieses Rechtsstreits eine hohe Bedeutung gewinnen: Diese vorläufigen Verfahren, die zur Vehinderung von Streiks vom Arbeitgeber in Gang gesetzt werden – so wie jetzt durch den Senat geschehen – enden immer nach der zweiten Instanz; im vorliegenden Fall also vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in der nächsten Woche. Das sonst mögliche Rechtmittel – die 3. Instanz – ist in diesen vorläufigen Verfahren versperrt. Es ist also in einem solchen Rechtsstreit unmöglich, Fehlentscheidungen der Landesarbeitsgerichte durch das Bundesarbeitsgericht korrigieren zu lassen. Das kann in solchen Vefahren zu schweren rechtwidrigen Einschränkung des Streikrechts durch die Landesarbeitsgerichte führen.
Die Konsequenz dieses verkürzten Verfahrens kann nur sei sein, dass die Untersagung eines Streiks auf diesem Wege nur sehr eingeschränkt möglich sein darf, nur ein offensichtlich rechtwidriger Streik darf vom Gericht untersagt werden[4]. Sonst werden die Gerichte der hohen verfassungsrechtlichen Bedeutung des Streikrechts nicht gerecht; das Streikrecht ist das wichtigste Instrument der abhängig Beschäftigten zur Verteidigung ihrer Rechte.
Dieser Rechtsstreit entwickelt sich zu einem Kampf um die Verteidigung des bestehenden Streikrechts. Der Kitastreik ist nicht rechtswidrig und schon gar nicht offensichtlich rechtswidrig.
Entscheidung des Arbeitsgerichts: Urteil vom 27.09.2024, 56 Ga 11777/24.
Hier die Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Berlin Nr. 18/24 vom 27.09.2024 lesen.
References
↑1 | https://www.berlin.de/gerichte/arbeitsgericht/presse/pressemitteilungen/2024/pressemitteilung.1489507.php |
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↑2 | https://www.berlin.de/gerichte/arbeitsgericht/presse/pressemitteilungen/2024/pressemitteilung.1489507.php; die Tarifgemeinschaft der Länder ist der Verband, mit dem die Gewerkschaften ver.di und GEW bundesweit Tarifverträge abschließen, die sogenannten Flächentarifverträge |
↑3 | “Daneben seien auch verbandspolitische Erwägungen des Landes Berlin von der Koalitionsfreiheit in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz geschützt, weil das Land als Arbeitgeber berechtigt sei, sich in der Tarifgemeinschaft der Länder zu organisieren. Das Risiko eines Ausschlusses aus der TdL bei einem eigenständigen Tarifabschluss müsse das Land Berlin nicht eingehen”, Pressemitteilung des Arbeitsgericht Nr. 18/24 vom 27.09.2024, siehe https://www.berlin.de/gerichte/arbeitsgericht/presse/pressemitteilungen/2024/pressemitteilung.1489507.php |
↑4 | LAG Köln v. 19.03.2007 Az.: 12 Ta 4107, LAGE Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 7; SächsLAG v. 2.11.2007 Az.: 7 SaGa 19/07, NZA 2008, 59; HessLAG v. 2.5.2003 Az.: 9 SaGa 637/03 Rn. 31. Bundesverfassungsgericht und Bundesarbeitsgericht stehen auf dem Standpunkt, dass eine Bewertung von Arbeitskampfmaßnahmen durch die Fachgerichte grundsätzlich nur in Betracht kommt, wenn eine Arbeitskampfmaßnahmen offensichtlich ungeeignet oder unverhältnismäßig ist (Däubler Arbeitskampfrecht 4. Aufl. § 24 Rn. 43). |
https://widerstaendig.de/ver-di-geht-in-die-zweite-instanz-vorlaeufige-verfahren-eine-grosse-gefahr-fuer-das-streikrecht/