Kriegseintritt statt Friedensplan

Der neue Plan der USA und Russlands für einen Waffenstillstand in der Ukraine stößt in Berlin auf Ablehnung. CDU-Abgeordneter fordert faktisch Kriegseintritt. Zwei Drittel der ukrainischen Bevölkerung fordern Friedensverhandlungen.

Von German Foreign Politics

Bild: Screenshot You Tube Video. Beschriftet.

BERLIN/KIEW/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Der neue US-amerikanisch-russische Plan für einen Waffenstillstand in der Ukraine stößt in Berlin auf Ablehnung. Laut Berichten haben sich Sondergesandte Russlands und der Vereinigten Staaten vor kurzem auf einen 28-Punkte-Plan geeinigt, mit dem der Ukraine-Krieg beendet werden soll. Er sieht vor, dass die Ukraine die Regionen Donezk und Luhansk vollständig aufgibt und klare Einschränkungen bei ihren Streitkräften akzeptiert. Dafür soll sie Sicherheitsgarantien erhalten. Ein solcher Plan sei „nicht akzeptabel“, urteilt Kanzleramtschef Thorsten Frei. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter fordert, stattdessen einen „Siegesplan“ für die Ukraine zu entwickeln und dazu unter anderem die „Flugabwehr über der Westukraine“ zu übernehmen, also in den Krieg einzutreten. Bereits zuvor hatte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärt, Kriege würden „von denen verloren, denen zuerst das Geld oder die Soldaten ausgehen“; die EU werde für die Kiewer Finanzen sorgen. In der Bevölkerung der Ukraine nimmt nicht nur der Widerstand gegen die Zwangsrekrutierung von Männern zu; eine Zwei-Drittel-Mehrheit wünscht zudem Verhandlungen über ein schnellstmögliches Ende des Kriegs.

Territorien

Der neue Plan für einen Waffenstillstand in der Ukraine, den Berichten zufolge der US-Immobilieninvestor Steve Witkoff im Auftrag von Präsident Donald Trump und der Leiter des russischen Staatsfonds, Kirill Dmitrijew, im Auftrag von Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen vom 24. bis zum 26. Oktober in Miami im Kern entwickelt haben [1], enthält Regelungen, die einen Mix aus Territorial- und Sicherheitsfragen umfassen. Er sieht – soweit bekannt – vor, dass die Ukraine diejenigen Teile der Regionen Donezk und Luhansk, die sie noch kontrolliert, an Russland übergibt.[2] Russland soll dort allerdings keinerlei Truppen stationieren dürfen. Umgekehrt heißt es, Russland solle einige Gebiete in den Regionen Cherson und Saporischschja an die Ukraine zurückgeben.[3] Davon abgesehen solle dort die aktuelle Frontlinie eingefroren werden. Zur Erläuterung der Forderung, die Ukraine solle die bislang noch von ihr militärisch kontrollierten Teile der Regionen Donezk und Luhansk freiwillig räumen, heißt es, die russischen Streitkräfte seien dort ohnehin auf dem Vormarsch und würden die fraglichen Territorien nach dem erwarteten Fall von Pokrowsk früher oder später erobern. Wenn man sie ihnen jetzt übergebe – und das im Gegenzug gegen einen Waffenstillstand –, verkürze man wenigstens den Krieg und das Leiden.

Sicherheit

Der von Witkoff und Dmitrijew entworfene Plan sieht darüber hinaus Maßnahmen vor, die den jeweiligen Sicherheitsbedürfnissen beider Seiten Rechnung tragen. Im Kern geht es dabei um die russische Forderung, die Ukraine dürfe in Zukunft nicht von der NATO zu einer militärischen Bedrohung für Russland gemacht werden. Das ist Moskaus zentrales Kriegsziel. Putin hatte im Herbst 2021 in einem Schreiben an die NATO erklärt, keinen Angriff auf die Ukraine führen zu wollen, sollte das westliche Militärbündnis auf die Mitgliedschaft des Landes verbindlich verzichten. Dazu war die NATO jedoch nicht bereit (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Der aktuelle US-amerikanisch-russische Plan sieht nun vor, dass die ukrainischen Streitkräfte halbiert werden; dass sie auf bestimmte, für Angriffe auf Ziele in Russland benötigte Waffensysteme verzichten; und dass sie bestimmte Formen von US-Unterstützung nicht mehr erhalten.[5] Im Gegenzug werden Kiew US-Sicherheitsgarantien in Aussicht gestellt. Weitere Elemente sehen Regelungen für die ukrainische Innenpolitik vor; so sollen das Russische wieder als offizielle Amtssprache zugelassen und die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche wieder in vollem Umfang legalisiert werden.

Immer mehr Deserteure

Der neue Vorstoß zugunsten eines Waffenstillstands erfolgt, während die Ukraine auf dem Schlachtfeld empfindliche Rückschläge erleidet. So steht der Fall der strategisch bedeutenden Stadt Pokrowsk laut Einschätzung von Militärexperten kurz bevor.[6] An der Strategie der ukrainischen Militärführung, die Stadt um jeden Preis zu halten zu suchen, wird zunehmend Kritik geäußert – zum einen, weil die Opferzahl unter den Soldaten immer stärker steigt, zum anderen, weil die Verteidigung von Pokrowsk Kräfte bindet, die jetzt an anderer Stelle fehlen. Dies betrifft die Region Saporischschja, in der sich die russischen Streitkräfte mittlerweile wieder in der Offensive befinden.[7] Dabei „schrumpfen“ die ukrainischen Streitkräfte, wie der in der Ukraine gut vernetzte Militärexperte Franz-Stefan Gady kürzlich bestätigte; das sei nicht nur wegen der hohen Verluste, sondern auch aufgrund zunehmender Desertionen der Fall.[8] Bereits Ende August hatten die ukrainischen Behörden eingeräumt, die Zahl der aufgrund von Desertion eingeleiteten Gerichtsverfahren belaufe sich inzwischen auf mehr als 250.000.[9] In der Ukraine nehmen die Proteste gegen Zwangsrekrutierungen, bei denen Männer gewaltsam an die Front verschleppt werden, zu.[10]

Immer weniger Kriegsbefürworter

Parallel schwindet in der ukrainischen Bevölkerung die Zustimmung zum Krieg. Bereits im August hatte eine Umfrage ergeben, dass nur noch 24 Prozent der Bevölkerung der Meinung waren, die Ukraine solle den Krieg bis zum erhofften Sieg fortsetzen. 69 Prozent hingegen befürworteten Verhandlungen mit dem Ziel, den Krieg so rasch wie möglich zu beenden.[11] Aktuell kommt eine schnell steigende Ablehnung gegenüber der Amtsführung von Präsident Wolodymyr Selenskyj hinzu. Ursache ist der jüngste Korruptionsskandal, der mit Timur Minditsch auch einen von Selenskyjs engsten Mitarbeitern betrifft. Dieser bringt nicht mehr nur die ukrainische Opposition gegen Selenskyj auf, sondern auch eine Reihe Abgeordnete der Regierungsfraktion „Diener des Volkes“ im Parlament, die mit ihrem Austritt droht. Die Regierung unter Selenskyj verfügte dann über keine Mehrheit mehr. Die ursprünglich für diese Woche geplante zweite Lesung des Staatshaushalts musste aufgrund des Streits bereits auf Dezember verschoben werden.[12] Nach Berichten ist die Zustimmung zu Selenskyj in der Bevölkerung aufgrund des Korruptionsskandals dramatisch um gut 40 Prozentpunkte abgestürzt und liegt nun bei weniger als 20 Prozent.[13]

Wer Kriege verliert

Ungerührt von der Entwicklung halten die EU und fast alle ihrer Mitgliedstaaten an ihrer Unterstützung für Selenskyj und vor allem der Forderung, den Krieg weiterzuführen, fest. In der vergangenen Woche erklärte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas: „Kriege werden von denen verloren, denen zuerst das Geld oder die Soldaten ausgehen.“[14] Damit das Geld nicht Kiew, sondern Moskau ausgehe, führe Brüssel seine massive finanzielle Unterstützung für die Ukraine fort, während es seine Sanktionen gegen Moskau stetig ausweite, erklärte Kallas. Zu der Frage, was es bedeutet, sollten der Ukraine wirklich die Soldaten „ausgehen“, äußerte sie sich nicht.

Nicht zum Waffenstillstand bereit

Der aktuelle US-amerikanisch-russische Waffenstillstandsplan wiederum stößt in Berlin auf Ablehnung. Kanzleramtschef Thorsten Frei nannte die Berichte über den Plan „verstörend“; sollte Russland „Kriegsziele erreichen“, die es „auf dem Schlachtfeld nicht erreicht hat“, wäre dies „nicht akzeptabel“. Vorsichtiger äußerte sich Außenminister Johann Wadephul: Er erklärte, er begrüße jede Waffenstillstandsinitiative, wünsche aber eine Einbeziehung der Staaten Europas.[15] Der CDU-Außen- und Militärpolitiker Roderich Kiesewetter hingegen stufte den Plan als „sinnlos“ ein und forderte stattdessen einen „Siegesplan“ für die Ukraine. Dazu sei nicht nur die Lieferung von Marschflugkörpern des Modells Taurus erforderlich, sondern auch die unmittelbare Übernahme der „Flugabwehr über der Westukraine“ mit einer „Koalition der Willigen“.[16] Damit träte die Bundesrepublik aktiv in die Kampfhandlungen in der Ukraine und damit in den Krieg ein.

[1] Barak Ravid, Dave Lawler: Scoop: U.S. secretly drafting new plan to end Ukraine war. axios.com 19.11.2025.

[2] Christopher Miller, Anastasia Stognei, Amy Mackinnon: US and Russian officials draft new peace plan for Ukraine. ft.com 19.11.2025.

[3] Barak Ravid: Scoop: Trump plan asks Ukraine to cede additional territory for security guarantee. axios.com 19.11.2025.

[4] S. dazu Gefährliche Sicherheitsgarantien.

[5] Christopher Miller, Anastasia Stognei, Amy Mackinnon: US and Russian officials draft new peace plan for Ukraine. ft.com 19.11.2025.

[6] Oliver Imhof: „Die ukrainischen Streitkräfte schrumpfen, und die Front ist sehr ausgedünnt“. spiegel.de 05.11.2025.

[7] Reinhard Lauterbach: Vormarsch im Nebel. junge Welt 17.11.2025.

[8] Oliver Imhof: „Die ukrainischen Streitkräfte schrumpfen, und die Front ist sehr ausgedünnt“. spiegel.de 05.11.2025.

[9] Yuliia Taradiuk: Over 250,000 desertion, AWOL cases opened since 2022, prosecutors say. kyivindependent.com 26.08.2025.

[10] Ian Proud: Ukraine’s ‘Busification’ – forced conscription – is the tip of the iceberg. responsiblestatecraft.org 04.11.2025. Eine Vielzahl an Fällen von Zwangsrekrutierungen ist dokumentiert – einschließlich Videos – auf busification.org.

[11] Ukrainian Support for War Effort Collapses. news.gallup.com 07.08.2025.

[12] Nach Korruptionsskandal steigt Druck auf Selenskyj. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.11.2025.

[13] Josh Rudolph, Olena Prokopenko, Valeriia Ivanova: Yermak Must Go: Zelenskyy’s Anti-Corruption Test. gmfus.org 18.11.2025.

[14] European Group of Five (E5): Press remarks by the High Representative Kaja Kallas following the meeting. eeas.europa.eu 14.11.2025.

[15] Sven Lemkemeyer: „Verstörend“, „Kapitulationsplan“, „inakzeptabel“: Das sind die wichtigsten Reaktionen auf den Ukraine-Friedensplan. Tagesspiegel.de 20.11.2025.

[16] Simon Schröder: „Kapitulieren kann die Ukraine alleine“: Experten zerreißen Trumps Hinterzimmer-Deal mit Putin. merkur.de 20.11.2025.

Erstveröffentlichtauf GFP v. 21.11. 2025
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/10206

Wir danken für das Publikationsrecht.

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