Willi van Ooyen fordert eine „breite Mobilisierung besonders der Jugend“ gegen die „Kriegstüchtigkeit“. Doch wer junge Menschen friedenspolitisch als Mobilisierungsmasse behandelt, erreicht nur das Gegenteil. Wir benötigen keinen Top-down-Dirigismus, sondern breite Selbstorganisation von unten.
Von Leo Ensel
Bild: Website der dfg/vk
Im Vorfeld der Friedensdemonstrationen vom 3. Oktober in Berlin und Stuttgart sprach einer der Veranstalter, Willi van Ooyen, in einem Interview mit den NachDenkSeiten über die wachsende Kriegsgefahr, die Militarisierung der Politik und die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Widerstands gegen die uns von Politik und Leitmedien tagtäglich eingehämmerte „Kriegstüchtigkeit“. In der Gefahrenanalyse ist ihm völlig zuzustimmen. Umso irritierender wirkt seine Formulierung: „Wir müssen eine breite Mobilisierung besonders der Jugend erreichen, um ein deutliches Zeichen gegen die ‚Kriegstüchtigkeit‘ zu setzen.“
Mobilisierungsmasse …
Genau in dieser Wortwahl – und der Haltung, die ihr zugrunde liegt – offenbart sich ein grundlegendes Missverständnis: Es ist die Perspektive des Funktionärs, der über Andere spricht, statt mit ihnen. Der sich um Mobilisierungsquoten sorgt, statt um Selbstorganisation. Der von oben nach unten kommuniziert und dabei übersieht, wie allergisch gerade die Jüngeren auf solche Tonlagen reagieren.
Niemand – schon gar nicht, wer jung ist – will als verfügbare Mobilisierungsmasse gesehen und entsprechend behandelt werden. Erst recht nicht in einer Friedensbewegung, die auf Selbstbestimmung, Kreativität und kritisches Denken Aller angewiesen ist. (So war das zumindest einmal.) Wer heute zu Protesten gegen Kriegsgefahr und die – gar nicht mehr so schleichende – Militarisierung der gesamten Gesellschaft aufruft, muss diese Grundhaltung wieder ernst nehmen.
Ein kurzer Blick auf die Realität: Die Friedensbewegung ist alt geworden. Ihre Protestformen, Symbole, Lieder, Slogans stammen vielfach unverändert aus den Achtziger Jahren. Vieles ist – „Hoch-die-internatio-naaa-le So-li-da-ri-tät!!“ – ritualisiert oder zur Leerformel verkommen. Nach wie vor dominiert die „Generation 60 plus“.
… oder Selbstorganisation?
Dabei könnte gerade jetzt, im Moment der sich dramatisch zuspitzenden Eskalation, ein neuer Impuls entstehen: Mit der ab Januar 2026 obligatorischen Wehrerfassung aller 18-jährigen Männer, ihrer ab Juli 2027 verpflichtenden Musterung, der absehbaren Rückkehr der Wehrpflicht oder gar der flächendeckenden Einführung eines ‚postmodernen Arbeitsdienstes‘ zusammen mit der realen Gefahr eines militärischen Konflikts mit Russland rückt das Thema „Krieg“ den jungen Menschen – und nicht nur Männern – nun buchstäblich auf den Leib!
Umfragen zeigen: Die große Mehrheit der unter 30-Jährigen lehnt eine Militarisierung der Gesellschaft ab. Sie wollen nicht verfeuert, nicht fürs Vaterland – wahlweise: Gemeinwesen – oder das Bündnis geopfert werden. Die Nachfrage bei Beratungsstellen für Kriegsdienstverweigerung steigt sprunghaft an. Erste Stimmen melden sich bereits öffentlich zu Wort: in Büchern, auf Social Media, in Podcasts, kürzlich auch in der Berliner Zeitung. Sie haben ihre eigene Perspektive, ihre eigene Sprache und ihren eigenen Zugang. Und das ist gut so. Denn frischer Wind kann nur in die Friedensbewegung kommen, wenn die Jüngeren ihn selbst und eigenständig organisieren – nicht wenn sie von Älteren „mobilisiert“ werden!
Respekt, Offenheit, Dialogbereitschaft
Was es jetzt braucht, ist kein nostalgisches Wiederaufleben der alten Friedensbewegung – schon gar keine Friedensbewegung ausschließlich der Alten –, sondern etwas Neues. Und das heißt auch: Die Älteren sollten sich, wenn sie es ernst meinen, zurücknehmen können. Nicht als Lehrer oder „Mobilisatoren“ auftreten, sondern als Unterstützer. Mit echtem Interesse für das Denken, Fühlen und die Ausdrucksformen der jüngeren Generationen. Vielleicht gäbe es dann mittelfristig sogar eine Chance, dass der „Ökopax“-Gedanke – die längst überfällige Verbindung von Friedens- und Umweltbewegung – wieder auflebt. – Wenn niemand ihn aufzwingt!
Wer sich für Frieden einsetzt, muss Respekt, Offenheit und Dialogbereitschaft auf Augenhöhe praktizieren – nicht zuletzt auch in den eigenen Reihen. Was wir benötigen, ist keine Mobilisierung von oben, sondern Selbstorganisation von unten.
Nur so wird ein Schuh draus!

Dr. Leo Ensel („Look at the other side!“) ist Konfliktforscher und interkultureller Trainer mit Schwerpunkt „Postsowjetischer Raum und Mittel-/Ost-Europa“. Veröffentlichungen zu den Themen „Angst und atomare Aufrüstung“, zur Sozialpsychologie der Wiedervereinigung sowie Studien über die Deutschlandbilder im postsowjetischen Raum. Im Neuen West-Ost-Konflikt gilt sein Hauptanliegen der Überwindung falscher Narrative, der Deeskalation und der Rekonstruktion des Vertrauens. – Der Autor legt Wert auf seine Unabhängigheit. Er fühlt sich ausschließlich den genannten Themen und keinem nationalen Narrativ verpflichtet.
Mehr Beiträge von Leo Ensel →
Erstveröffentlicht im Overton Magazin v. 12.10. 2025
https://overton-magazin.de/kommentar/gesellschaft-kommentar/braucht-es-eine-breite-mobilisierung-besonders-der-jugend-nein-einspruch/
Wir danken für das Publikationsrecht.