Wir beten an die Macht der Geschütze

Von Arno Luik

Ein Antwortbrief an einen Leser, der sich das Positive wünscht.

Vor einigen Wochen, es war Anfang November, beklagte sich ein Leser über meine Texte: „Wo bleibt bei Ihnen das Positive, Herr Luik?“

Ja, wo bleibt das Positive? Schwierig in diesen Zeiten, in denen alles verrutscht, das Land „kriegsfähig“ gemacht wird, in dem Mitbürger, es sind muslimische, vom Wirtschaftsminister Habeck autoritär aufgefordert werden, nach den fürchterlichen Attacken am 7. Oktober, diesem unfassbaren Überfall der Hamas auf Israel sich vom Antisemitismus zu distanzieren – sonst könnte es sein, dass sie ihren Aufenthaltsstatus hierzulande verlieren. Also ein Glaubensbekenntnis abzulegen, aber subito, sonst ist es mit der staatlichen Toleranz aber ganz schnell vorbei!

Muss ich als Deutscher mich von Deutschland distanzieren, wenn rechtsradikale Deutsche Heime von Asylsuchenden abfackeln? Verliere ich meine Staatsbürgerschaft, wenn ich das nicht tue? Ist das die neue „Staatsräson“? Ein Wort, das nun immer häufiger von den Regierenden benutzt wird, ein Wort, das auf Machiavelli zurückgeht, und den Staat über alles stellt. Danach ist zur Erlangung und ihrer Erhaltung politischer Macht jedes Mittel erlaubt. Unabhängig von Recht und Moral. Ein Wort also, das in einer Demokratie nichts verloren hat, aber auch gar nichts. „L’État, c’est moi!“

Was ist dabei herausgekommen?

Es ist also fast überfordernd, lieber Frager, derzeit positiv auf diese Welt zu gucken.

Seit vielen Jahren mühe ich mich in meinen Artikeln, Kommentaren oder Essays, nun etwas pathetisch gesagt: um eine bessere Welt.

Und was ist dabei herausgekommen? In einem Anfall von traurigem Lachen sage ich: Baerbock. Habeck. Pistorius. Scholz. Strack-Zimmermann. Merz. Hofreiter – um ein paar zu nennen. Alles Figuren, die den alten, stets gefährdeten Grundkonsens der Bundesrepublik nun radikal entsorgt haben: militärische Zurückhaltung. Keine Waffen in Kriegsgebiete.

Figuren, die mit aller Macht, das Alte wollen. Das im vergangenen Jahrhundert zwei Mal so viel Leid und Grauen produziert hat: Wir beten an die Macht der Geschütze. WIR SIND WIEDER WER!

Gleichwohl: Ich versuche trotz allem optimistisch zu bleiben, so ein bisschen nach Gramscis Dictum: Pessimismus des Intellekts, Optimismus des Willens.

Sie schlagen mir in Ihrem Brief vor, mich für ein Parteiverbot der AfD auszusprechen.

Ich grüble.

Ich fürchte, es wird nichts bringen, aber ich denke nach, grüble noch weiter.

Putsch von oben

Für mich ist dies das Problem, nun etwas zugespitzt und in aller Kürze: Wir haben seit zu vielen Jahren eine herrschende Politik, die fast zwangsläufig rechtsextremes Denken produziert. Ich habe das 2004 in einem Essay thematisiert, den ich den „Putsch von oben“ nannte. Es waren die Tage der „Agenda 2010“, der angeblich so alternativlosen „Reform“-Politik der rotgrünen Regierung; erlauben Sie mir daraus einige Gedanken zu zitieren:

„Anders als noch in Zeiten der Systemkonkurrenz, also bis 1990, muss der Kapitalismus jetzt nicht mehr beweisen, dass er sozial, human und gerecht sein kann. Jetzt darf ein Spitzenmanager – ohne einen Aufschrei auszulösen – sagen: „Menschen? Das sind Kosten auf zwei Beinen.“ Roh ist diese Republik geworden.

Werden die Reformen umgesetzt – und die politisch Handelnden sind dazu verbissen entschlossen –, wird diese Republik eine radikal andere Gesellschaft sein: ein entkernter Staat ohne Gemeinsinn, eine entzivilisierte Gesellschaft. Anfällig für individuelle Aggressionen und für Rechtsextremismus.

Sechs Jahre regieren nun SPD und Grüne. Ist das Land in dieser Zeit – und das war das Regierungsziel, das Wahlen gewinnen half – sozialer, gerechter, friedfertiger geworden?

Die AfD ist Rache

1990, nach dem Fall der Mauer und der Implosion des „real existierenden Sozialismus“, der vieles, aber nie real war, jubelte der Chef, sein Name fällt mir gerade nicht ein, eines großen schweizerisch-italienischen Konzerns: „Jetzt müssen wir keine Rücksicht mehr nehmen!“

Im Klartext: Weg mit dem Sozialklimbim! Und so geschah es in den Folgejahren: Die sozialen Sicherheiten, die in vielen Arbeitskämpfen über viele Jahrzehnte errungen worden waren, wurden demontiert, den Menschen wurde gezeigt, dass sie nichts wert sind – und so radikalisierten und radikalisieren sie sich. Die AfD ist Rache.

Sie wird genährt, tagtäglich, durch eine, nun ein seltsames Wort in diesem Zusammenhang: herzlose Politik. Eine herzlose Politik, die sich jetzt, nur ein Beispiel, auch medial unterstützt, auf „den Migranten“ stürzt, und so die AfD adelt und noch stärker macht, Tag für Tag.

Es mag nun für Sie seltsam klingen, ein kleiner Ausflug: Am deplorablen Zustand der politisch ramponierten Bahn spiegelt sich der Zustand, die Verwahrlosung der herrschenden Politik wider. Mein Bahn-Buch „Schaden in der Oberleitung“, das Sie in Ihrer Mail ansprechen, ist im Grunde kein Buch über die Bahn, sondern eine Analyse des Zerfalls einer sich um die Menschen nicht mehr kümmernden Politik, dieser Rückzug des Staats aus zu vielen Bereichen. Erst verschwindet auf dem Land die Post, dann der Bahnhof, nun die Krankenhäuser. Und stattdessen kommt die AfD (in Frankreich: Le Pen, in Italien: Meloni).

In Ostdeutschland ist die AfD eine Kümmererpartei, die AfDler imitieren dort, was die Linke aufgegeben hat. Sie sind verdammt gute Rattenfänger. Ein Verbot würde sie zu Märtyrern machen. Noch mehr Staatsverdrossenheit erzeugen?

Ich grüble immer noch über Ihrer Forderung nach Parteienverbot nach.

Stunden später.

Ich denke: Es bringt nix. Im Gegenteil.

WIR gegen DIE

Ich denke, es geht nur so: Die herrschende Politik muss sich ändern – zu dem zurückkehren, was sich die Väter (und die wenigen Mütter) des Grundgesetztes von dem post-faschistischen Staat erhofften. Ein soziales Gemeinwesen. Rückkehr also zu einem, dies Wort ist komplett verschwunden, schlimmer noch, zum Gespött geworden: Wohlfahrtsstaat. Ja: Wohlfahrtsstaat.

„Welfare state: From the cradle to the grave” – so hieß die erste Geschichte in meinem ersten Englischbuch lobend über Großbritannien. Wohlfahrtsstaat – das war das Ideal nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges. Ein Staat, der sich um seine Mitbürger kümmert. Doch was hat die Zerstörung dieses Wohlfahrtsstaates in Großbritannien u.a. gebracht? Den Brexit. Eine total auseinanderfallende, eine zerstörte Gesellschaft. Hass.

Ein Verbot der AfD merzt ihre Gedanken nicht aus.

Was hat denn das Verbot der türkischen Gülen-Bewegung gebracht? Die AKP. Diese rechtspopulistische Partei des überaus unangenehmen Herrn Erdogan.

Was hat das KPD-Verbot gebracht? Vielleicht die RAF miterzeugt?

Ein Parteiverbot kann also auch Untergrund bedeuten. Was wiederum einen noch unangenehmeren Staat zur Folge hätte. Repression. Möglicher Ausweg schließlich: Krieg.

Krieg? Ich nehme an, Sie schütteln nun den Kopf, denken: Der Luik ist ein Apokalyptiker. Ich bin das nicht. Ich bin auch nicht naiv. Ich registriere nur, dass „wir“ Richtung Krieg driften, dass wichtige Weichen in diese Richtung gestellt werden.

Es wird wohl noch ein paar Jahre dauern, bis es so weit ist – mit diesem Krieg. Zur Eingewöhnung müssen noch ein paar Dinge passieren, Sirenen müssen noch getestet werden, Bunker müssen noch gebaut werden, ein Himmelsschirm gegen Raketen muss noch installiert werden, es müssen noch ein paar Placebos erfunden werden, die der kriegsunwilligen Bevölkerung suggerieren: Man ist sicher, man ist gewappnet. Und: Feindbilder müssen noch besser einstudiert werden. Aber auch das wird gerade sehr geübt. Achten Sie mal darauf, wie dieses „WIR“ medial zunimmt. Dieses „WIR“ gegen DIE.  Volksgemeinschaft. Der Gleichschritt wird geübt – auch im ehedem eher linken Kultur-Überbau.

Wer wählt die AfD?, fragen Sie. Bei mir im schwäbischen Albdorf haben bei den letzten Landtagswahlen 19,7 Prozent für die AfD gestimmt … Ein komisches Gefühl – beim Einkaufen zum Beispiel. Ein Ort in einer Boomregion, ein Ort ohne Arbeitslosigkeit – dank Rüstungsfirmen, zum Beispiel Hensoldt.

Die Form ersetzt das Gehirn

Die AfD-Fraktion im Bundestag ist – im Vergleich zu den anderen Parteien –  die mit den meisten Professoren. Ihre großen und kleinen Anfragen sind oft schlau. Aber nicht nur das.

Eine sehr wichtige ARD-Hauptstadt-Redakteurin sagte mir neulich: „Wenn wir einen AfDler einladen, verlieren wir immer“. Und damit sind „wir“ bei einem wirklichen Problem: Diskursunfähigkeit. Diskussionsunfähigkeit bei zu vielen Journalisten. Sie sind gewohnt, bei ihren Interviews als Stichwortgeber zu agieren, sie sind gefangen in ihrer Blase für ihre Blase, oft unfähig zur inhaltlichen, kritischen Auseinandersetzung.

Medial und überhaupt bemüht man sich immer mehr, ich bin nun etwas zynisch: „woke“ zu sein, „gender“gerecht zu sein. Aber Widersprüche, wirkliche Auseinandersetzung (auch mit verwerflichen Gedanken), also auch Konfrontation hält man/frau nicht aus. Die Form ersetzt das Gehirn.

Ich, und da bin ich überaus optimistisch, vertraue trotz allem auf die Kraft der Aufklärung.

Prinzip Hoffnung.

Nun genug der Grübelei.

Mit den besten Grüßen:

Ihr

Arno Luik

Arno Luik war Reporter für Geo, Chefredakteur der taz, langjähriger Autor der Zeitschrift Stern. Für seine Enthüllungen in Sachen Stuttgart 21 erhielt er den „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ des Netzwerks Recherche. Sein Buch „Schaden in der Oberleitung – Das geplante Desaster der Bahn“ stand wochenlang auf den Bestsellerlisten. Zuletzt erschien von ihm bei Westend: „Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna. Gespräche über den Wahnsinn unserer Zeit“

Erstveröffentlicht im overton Magazin am 19.11.23
https://overton-magazin.de/kommentar/politik-kommentar/wir-beten-an-die-macht-der-geschuetze/

Wir danken für das Publikationsrecht.

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