„Achtung!“ – Die Bundeswehr übernimmt in Deutschland das Kommando

Nach dem sogenannten Operationsplan Deutschland (OPLAN) werden seit einiger Zeit die zivilen amtlichen Strukturen mit militärischen verknüpft. Der Name zeigt, wer dabei das Sagen hat. Groß darüber geredet wird bisher nicht.

Von Thomas Moser

Bild: Die Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses Cornelia Seibold mit zehn Soldatinnen und Soldaten sammelt für den Volksbund.de. Bild Screenshot instagram.

Ein Bild vom November 2024: Zehn Bundeswehrsoldaten, eine Soldatin und eine Politikerin stehen beieinander mit Spendenbüchsen in der Hand. Sie sammeln für Kriegsgräber, alte, aber vor allem auch kommende. Denn für 80 oder 100 Jahre alte Gräber muss man nicht sammeln. Die Politikerin ist Cornelia Seibeld, CDU, Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin. Sie steht ein bisschen verloren unter den elf Militärangehörigen, die obendrein die bessere Winterkleidung anhaben.

Es ist wie ein Sinnbild: Das Sammeln von Spenden für den Erhalt der Kriegsgräber im In- und Ausland ist vor allem im Interesse der Bundeswehr. Die Politik, die Legislative, das Parlament macht mit. Solche Aufführungen, wie vor dem Abgeordnetenhaus der Hauptstadt, gibt es seit einiger Zeit überall im Lande. Sie folgen einem Plan, dem sogenannten „Operationsplan Deutschland“, OPLAN genannt, nach dem sich die Bundeswehr mit zivilen politischen Strukturen verbindet. Ein Programm der Militarisierung, das planmäßig voranschreitet. Die BRD-Armee macht sich in den Strukturen breit und übernimmt das Kommando.

Empfänger der Spenden ist der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der die Gräber pflegt. Denn es gibt sie und es wird sie geben. Die Parole von der „Kriegsertüchtigung“ bedeutet auch, sich auf tote deutsche Soldaten, männliche und ein paar weibliche, vorzubereiten – und zwar auf das Vielfache derjenigen, die zum Beispiel in Afghanistan gefallen sind. Die Logik ist: Wer sterben kann, der darf auch töten.

Für die neue Struktur baut die Bundeswehr sogenannte Landeskommandos auf, territoriale Führungskommandobehörden in jedem Bundesland und in Berlin. Die Landeskommandos werden als Brücke zwischen Bundeswehr und zivilem Bereich bezeichnet. Zitat Landeskommando Berlin: „Seine Soldatinnen und Soldaten informieren, beraten und unterstützen den Senat, dessen nachgeordnete Behörden sowie Polizei und Feuerweh.“ Und zwar nicht nur als Katastrophenhilfe, sondern explizit auch im Rahmen des „Heimatschutzes“. Die Struktur wird in den Stadtbezirken (etwa Kreuzberg, Wedding, Marzahn) ergänzt durch Verbindungskommandos.

Soldaten, die die Regierung unterstützen – soll das beruhigen oder kann man das als Drohung verstehen? Jedenfalls klingt es nach Ausnahmezustand. Der Aufbau dieser militärisch dominierten Parallelstruktur begann in der Hauptstadt im Oktober 2020.

Es war also nicht der Angriff der russischen Armee auf ukrainische Städte im Februar 2022, mit dem angeblich das offizielle Umdenken in Deutschland begann, die Hinwendung zu maßloser Aufrüstung und einer seit 75 Jahren nicht gesehenen Militarisierung der Gesellschaft. Eine solche Darstellung gehört zum Märchen des neuen Kriegsnarrativs. Die Übernahme des Kommandos in Deutschland durch die Bundeswehr begann mehr als ein Jahr vorher im Zeitalter von Corona. Die Truppe war bereits ins nationale Corona-Krisenmanagement einbezogen, und auch bei den praktisch-operativen Coronamaßnahmen wurden Bundeswehrsoldaten eingesetzt.  Sie unterstützten die Gesundheitsämter bei der Kontaktnachverfolgung von Infizierten und der Recherche von Wohnanschriften.

Das war bereits das Überschreiten einer roten Linie, weil es sich dabei um eine hoheitliche Aufgabe im Inneren handelte, die die Bundeswehr gar nichts angeht. Die Coronaparteien und die Bundeswehrpartei AfD haben es nicht nur geschehen lassen, sie fanden es gut und richtig. In der autoritären Corona-Kommando-Politik versteckte sich bereits der Embryo der kommenden Militarisierung.

Ob ohne das Eine das Andere so problemlos funktioniert hätte, ist dabei noch eine interessante Frage. Seither vollzieht sich diese Kommandoübernahme zwar eher ruhig und schleichend, aber in einer unwiderstehlichen Selbstverständlichkeit.

Dazu gehört auch das Mittel der Folklore, mit der die neue Kriegsverherrlichung umhüllt und bemäntelt wird. Zum Beispiel Gedenkfeiern am Volkstrauertag mit Fackelzügen, Kranzniederlegungen und Klimbim an den Gräbern deutscher Soldaten und den Mahnmalen für die Opfer des Nationalsozialismus. Das heißt also: Man zelebriert die Opfer deutscher Täter und zugleich diese Täter.

Zur Gedenkfeier auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin, wo der im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Soldaten jüdischen Glaubens gedacht werden sollte, musste man sich bei der Bundeswehr anmelden und als Journalist bei ihr akkreditieren lassen. In welche Tradition sich die BRD-Armee stellt, scheint ihr also völlig gleichgültig zu sein.

Krieg ist vor allem ein großer Ordnungsfaktor einer Gesellschaft nach innen

Schwörfeste sind seit einiger Zeit in vielen Städten groß in Mode. Man feiert sich als Stadt und ihre Freiheit. In Esslingen, das zwar am Wasser liegt, Neckar genannt, aber ansonsten trockenstes Binnenland darstellt, wurde ausgerechnet ein Fregattenkapitän eingeladen, um die Schwörtagsrede zu halten. Launiger Titel: „Von der schwören See – Die Bedeutung der Marine für Land und Ländle“.

Die Bedeutung der Marine geht in Esslingen eigentlich gegen null, die Stadt hat nicht einmal einen Hafen, und auf dem Bodensee kreuzen meines Wissens auch keine Kriegsschiffe. So what? Doch mit so viel Realismus lässt sich keine Verteidigungsnotwendigkeit oder Kriegstüchtigkeit begründen. Wir verdanken der Einladung an einen Militär zur See also eine wichtige Erkenntnis über die laufende Militarisierung unter dem Stichwort „Kriegsertüchtigung“. Mutwilligkeit ist Grund genug. Wo militärische Verteidigung nicht möglich oder nötig ist, wird sie eben erfunden.

Zwei Esslinger Parteien (Linke und FÜR Esslingen) kritisierten die Einladung eines Militärs und wollten deshalb der Schwörtagszeremonie fernbleiben. Prompt ernteten sie Kritik zum Beispiel vom CDU-Bundestagsabgeordneten, der solcherart Ausscheren aus der nationalen Einheitsfront kleinkariert und ein Zeichen für Ignoranz nannte. Ein Disput, der eigentlich nicht der Rede wert ist, wenn es nicht gleichzeitig die Nachricht gegeben hätte, dass drei andere Gruppierungen, die gerne an dem Schwörfest teilgenommen hätten, davon ausgeschlossen wurden: Der Islamische Verein einer Moschee, der Verein türkischer Arbeitnehmer und ein kurdisches Gesellschaftszentrum. Begründung: Milli Görüs, Graue Wölfe, PKK. Oder Nähe zu ihnen. Oder so.

Auch dahinter steht eine Logik: Der angestrebte Nationalismus braucht auch einen potentiellen Feind im Inneren, mit dem er die Bereitstellung der Instrumente begründen kann, gegen ihn vorzugehen, wenn es sein muss. Und für Zentralmächte bot der Feind im Inneren sowieso schon immer das Mittel, sich selber zu legitimieren. Krieg ist, was natürlich nicht gesagt werden darf, vor allem ein großer Ordnungsfaktor einer Gesellschaft nach innen, die Außerkraftsetzung der Demokratie und das Verbot demokratischer Rechte, wie Wahlen oder Versammlungen. Die maximale Kontrolle. Auch Corona war ein solcher Ordnungsfaktor. Deshalb gibt es in der Gesellschaft Kräfte und Interessen, die Krieg wollen und ihn zur Machterhaltung brauchen.

Die Kriegstüchtigkeit findet ihre Umsetzung im OPLAN Deutschland

22. Mai 2024: Feierliches Gelöbnis von Rekruten des Wachbataillons der Bundeswehr vor dem Abgeordnetenhaus von Berlin. Der Anlass sind 75 Jahre Grundgesetz, die Bundeswehr gab es da, 1949, aber noch lange nicht. Neben Cornelia Seibeld, der Präsidentin des Berliner Parlaments, die wir aus der Sammelaktion für Soldatengräber kennen, spricht auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner, außerdem die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium. Personal einer zivil-politischen Veranstaltung also.

Die Öffentlichkeitsarbeit liegt allerdings in den Händen der Bundeswehr. Bei ihr muss man sich als Journalist akkreditieren, und von ihr bekommt man die Pressemitteilung. Die wird von der Bundeswehr bereits zwei Stunden, bevor die Veranstaltung überhaupt begonnen hat, verbreitet. Darin auch Zitate aus den Reden der genannten Politiker, die erst noch gehalten werden müssen. Die Präsidentin des Abgeordnetenhauses wird unter anderem mit dem Satz zitiert: „Mit dem Gelöbnis wollen wir deutlich sichtbar unterstreichen, dass die Bundeswehr als Parlamentsarmee in die Mitte der Gesellschaft gehört.“ Erst danach verbreitet auch das Pressereferat des Abgeordnetenhauses die Pressemitteilung der Bundeswehr und das Statement der Parlamentschefin wortgetreu und eins zu eins.

Das Zitat von Seibeld, der AGH-Präsidentin, macht stutzig. Denn die sogenannte Parlamentsarmee Bundeswehr muss sich nicht nach dem Abgeordnetenhaus von Berlin richten. Parlamentarische Aufträge erteilt ihr allein der Bundestag. Umgekehrt gilt aber auch: Die Bundeswehr hat dem Senat von Berlin eigentlich nichts zu sagen. Warum verbreitet die Bundeswehr das Zitat, ehe es die Urheberin selber verbreitet?

Hat die Politikerin Seibeld ihre Rede der Bundeswehr vorgelegt? Hat die Bundeswehr sie geschrieben?

Worum geht es beim Operationsplan Deutschland, den die Beteiligten nur OPLAN nennen? Er ist die organisatorische Grundlage des Propagandabegriffs von der „Kriegstüchtigkeit“. Oder anders gesagt: Die Kriegstüchtigkeit findet ihre Umsetzung im OPLAN Deutschland. Es hat also alles System, Methode und Programm. In seinen Einzelheiten bekannt ist der OPLAN nicht.

Als Gegner des kommenden deutschen Krieges ist Russland bestimmt worden. Dafür werben seit einiger Zeit bereits Politiker des Kriegsparteien-Kartells wie der CDU-Mann Kiesewetter, der Grüne Hofreiter oder die FDP-Frau Strack-Zimmermann. Deutschland soll zum Aufmarschgebiet und zur Drehscheibe für Nato-Truppen werden. Die Kriegsplaner rechnen mit mindestens 800.000 Nato-Soldaten, die sich in Deutschland sammeln und an die Ostgrenze der Nato, Polen und Baltikum, gebracht werden müssen. Im OPLAN steht, wie das sichergestellt werden soll. Genaues erfährt man nicht. Nur noch, dass zwischen Bund und Ländern gemischte Arbeitsgruppen zur Ausgestaltung des OPLANs bestehen. Aus Gründen der militärischen Sicherheit sind, wie es heißt, „alle Informationen über verteidigungswichtige und kritisch eingestufte Infrastruktur geheim“. Auch zu konkreten Vorgaben und Planungen könne die Bundeswehr keine weiteren Angaben machen, teilt sie mit.

Seit eingen Monaten gibt es eine Diskussion um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, nach dem der oberirdische Kopfbahnhof zum unterirdischen Durchgangsbahnhof gemacht werden soll, wofür seit einigen Jahren auch gebaut wird. Nun wurde allerdings vor einem Jahr das Allgemeine Eisenbahngesetz derart geändert, dass die Entfernung von Gleisen oder ihre Überbauung erschwert wurde. Das berührt auch das Projekt Stuttgart 21. Die Frage, ob dieser Schwenk mit etwaigen Kriegsplanungen im OPLAN zu tun hat, wird bisher nicht beantwortet – weder mit Nein noch mit Ja.

Das territoriale Führungskommando Baden-Württemberg teilt dazu lediglich mit: „Ich kann mich nicht detailliert und schon gar nicht zu bestimmten Objekten äußern, muss also generisch bleiben. Natürlich stellen wir aus militärischer Sicht unzweckmäßige Entwicklungen auch im Bahnbereich fest. In den Arbeitsgruppen werden diese Dinge auch offen angesprochen.“

„Die Bedrohungslage ist schon sehr akut – und der Feind heißt Russland“

Der Kommandeur des Landeskommandos Baden-Württemberg, der im militärischen Beruf übrigens – Achtung! – Kapitän zur See ist, sagte dem SWR: „Ein möglicher Verteidigungsfall der Nato bedeutet, dass sich alle darauf vorbereiten müssten, egal ob Schulen, Verkehr oder Firmen.“ Auch die Privatwirtschaft wird in die umfassende Kriegsvorbereitung mit einbezogen.

Für den Befehlshaber des Ba-Wü-Kommandos hat der Krieg bereits begonnen und der Gegner einen Namen: „Die Bedrohungslage ist schon sehr akut – und der Feind heißt Russland.“ Dessen erste Angriffsphase laufe schon längst.

Man sieht Krieg, weil man ihn will. So richtig zufrieden mit der mentalen Kriegsvorbereitung der deutschen Bevölkerung und der freiwilligen Kollaboration zwischen Zivilem und Militärischem scheinen Bundeswehr und politische Nomenklatur aber noch nicht zu sein. Die Pressestelle des Territorialen Kommandos in Ba-Wü schreibt: „Mein persönlicher Eindruck ist, dass noch sehr viele Menschen verkennen, welche Gefahren bereits jetzt täglich auf uns einwirken.“ Deshalb komme es zunächst darauf an, für den „Ernst der Lage zu sensibilisieren, ohne Panik zu verbreiten“.

Zur Not muss nachgeholfen werden. Wie in Bayern, wo 2024 ein Gesetz beschlossen wurde, das die Zusammenarbeit staatlicher Bildungseinrichtungen – von Schulen, Universitäten, Forschungsinstitutionen –  mit der Bundeswehr vorschreibt: „Bundeswehrfördergesetz“ genannt. Danach soll die Armee überall ungehinderten Zugang zu den Bildungs- und Wissenschaftsressourcen erhalten und für sich werben dürfen. Außerdem verbietet das Gesetz sogenannte Zivilklauseln, nach denen öffentliche Forschung auf eine rein zivile Nutzung beschränkt sein soll.

Jetzt, am 5. Februar 2025, haben über 200 Personen und Vereinigungen Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen das Bundeswehrfördergesetz eingereicht. Vielleicht ist der Streit um die Deutungshoheit in diesem Land, wer entscheidet, was richtig oder gut ist, erst eröffnet.

Erstveröffenmtlicht im Overton Magazin v. 22.2. 2025
https://overton-magazin.de/top-story/achtung-die-bundeswehr-uebernimmt-in-deutschland-das-kommando/

Wir danken für das Publikatoionsrecht.

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