Die Bundesregierung hat 2024 fast doppelt so viele Rüstungsprojekte gestartet wie 2023 und Rüstungsexporte in Rekordhöhe genehmigt – in die Ukraine, in die Türkei, nach Israel und an potenzielle asiatische Gegner Chinas.
20 Dez 2024
Bild: pixabay
Newsletter von German Foreign Policy
BERLIN (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung beendet das Jahr 2024 mit mehreren neuen Rüstungsrekorden. Am Mittwoch hat der Haushaltsausschuss des Bundestags 38 neue Rüstungsvorhaben genehmigt und damit die Gesamtzahl auf 97 gesteigert; im vergangenen Jahr waren es lediglich 55. Zudem hat der Wert der deutschen Rüstungsexporte schon vor Jahresende den bisherigen Rekordwert aus dem Jahr 2023 deutlich übertroffen und liegt nun bei 13,2 Milliarden Euro. Vor zehn Jahren waren es lediglich vier Milliarden Euro. Beliefert werden neben der Ukraine, die allein 62 Prozent der deutschen Ausfuhr von Kriegsgerät absorbiert, die Türkei, Israel sowie potenzielle asiatische Gegner Chinas, darunter Indien, dessen Waffenkäufe in Russland Berlin künftig verringert sehen will. Im Inland profitieren von der massiven Aufrüstung sämtliche Teilstreitkräfte, darunter das Deutsche Heer, das Milliardenbeträge für die Digitalisierung seiner Operationen erhält, insbesondere jedoch die Deutsche Marine. Sie erhält U-Boote für 4,7 Milliarden Euro, die im Nordatlantik gegen Russland eingesetzt werden können, und neue Luftverteidigungsfregatten für – Folgekosten inklusive – wohl rund 25 Milliarden Euro.
U-Boote
In besonderer Weise profitiert von den Beschaffungsvorhaben, die der Haushaltsausschuss des Bundestages beschlossen hat, die Deutsche Marine. So wird sie – zusätzlich zu den zwei bereits bestellten – vier weitere U-Boote der Klasse 212CD erhalten. Die Kosten werden auf rund 4,7 Milliarden Euro beziffert. Die U-Boote sind gemeinsam mit Norwegen entwickelt worden – CD steht für Common Design –, und sie werden gemeinsam mit Norwegen gebaut, allerdings unter deutscher Führung; den Gesamtauftrag hat ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) mit Sitz in Kiel erhalten. An der Produktion beteiligt sind mehrere weitere deutsche Rüstungsunternehmen, etwa Diehl und Hensoldt, die Flugabwehrraketen bzw. Sensoren für die U-Boote fertigen. Norwegen muss sich mit geringeren Produktionsanteilen zufriedengeben, die etwa Kongsberg Defence & Aerospace mit Sitz im gleichnamigen Ort Kongsberg südwestlich von Oslo erhält. Dafür wird die Wartungswerft, die Deutschland und Norwegen gemeinsam unterhalten, im norwegischen Bergen angesiedelt.[1] Dies hat den Vorteil, dass sie nahe am potenziellen Haupteinsatzgebiet liegt: Im Fall eines offenen Kriegs gegen Russland würden die U-Boote, von denen Norwegen seinerseits sechs beschaffen will, genutzt, um die russische Nordflotte vom Zugang zum Atlantik abzuschneiden.
Fregatten
Kann die U-Boot-Klasse 212CD als Modellprojekt einer gemeinsamen Rüstungsproduktion in Europa unter deutscher Führung gelten, wie sie die Bundesregierung nicht zuletzt mit ihrer neuen Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie fördern will (german-foreign-policy.com berichtete [2]), so ist dies bei der geplanten neuen Fregatte F127 – noch – nicht der Fall. Insider gehen davon aus, dass TKMS und NVL, die abgespaltene Marinesparte der Bremer Lürssen-Werft, den Hauptauftrag zum Bau des Schiffs erhalten werden. Für die Flugabwehr ist allerdings die Nutzung des US-amerikanischen Aegis-Systems eingeplant, das von Lockheed Martin hergestellt wird.[3] Wie nun aber berichtet wird, soll die F127 zusätzlich das Führungs- und Waffeneinsatzsystem CMS 330 erhalten, das Lockheed Martin Canada anbietet. Dieses bietet zweierlei Vorteile: Zum einen enthält es keinerlei US-Bauteile, weshalb es auch ohne US-Zustimmung exportiert werden darf; zum anderen kann es, wie es heißt, auch mit „anderen Sensoren und Effektoren interagieren“, etwa mit Radaren des deutschen Rüstungsunternehmens Hensoldt.[4] Eine stärkere „Europäisierung“ der Produktion ist damit also machbar. Der Haushaltsausschuss hat nun den Einstieg in den Bau der Fregatte F127 beschlossen. Die Kosten werden auf 15 Milliarden Euro geschätzt, die Folgekosten auf weitere zehn Milliarden Euro.[5]
Rekordprojekte
Die Rüstungsprojekte, deren Finanzierung der Bundestags-Haushaltsausschuss abgesegnet hat, beziehen sämtliche weiteren Teilstreitkräfte ein. So wird das Deutsche Heer neben Raketenartillerie und Wärmebildgeräten IT-Technologie für das Vorhaben „Digitalisierung Landbasierter Operationen“ erhalten; die Kosten für Letzteres werden auf einige Milliarden Euro geschätzt.[6] Für die Luftwaffe sind Raketen für Patriot- sowie Lenkflugkörper für Iris-T-Flugabwehrsysteme vorgesehen, darüber hinaus ein Weltraumüberwachungsradar. Die Cyberstreitkräfte werden unter anderem mit 24 flexibel verlegbaren Rechenzentren versorgt, der Unterstützungsbereich mit gepanzerten wie auch ungepanzerten Fahrzeugen. Insgesamt billigte der Haushaltsausschuss 38 neue Vorhaben; die Gesamtzahl für das Jahr 2024 stieg damit auf 97 – eine rasante Steigerung gegenüber den 55 Vorhaben, die im vergangenen Jahr genehmigt wurden. Das finanzielle Gesamtvolumen allein der 38 neuen Vorhaben beziffert das Verteidigungsministerium auf 21 Milliarden Euro.[7] Nicht mitgerechnet sind dabei offenkundig unter anderem die Mittel, die zur Beschaffung nicht nur des Einstiegsprojekts, sondern der kompletten Luftverteidigungsfregatten F127 erforderlich sind.
Rekordexporte
Ebenfalls am Mittwoch hat das Bundeswirtschaftsministerium neue Rekordzahlen zum deutschen Rüstungsexport vorgelegt. Demnach sind die Genehmigungen zur Ausfuhr von Rüstungsgütern bereits im vergangenen Jahr auf den – damaligen – Rekordwert von 12,13 Milliarden Euro gestiegen. Das war bereits fast die Hälfte mehr als im Jahr zuvor (8,36 Milliarden Euro).[8] In diesem Jahr verzeichneten die Rüstungsexportgenehmigungen der Bundesregierung einen erneuten Anstieg auf einen neuen Rekordwert von 13,2 Milliarden Euro; dieser wurde allerdings bereits am 17. Dezember erreicht. Ein zusätzlicher Anstieg in den letzten Tagen des Jahres ist nicht ausgeschlossen. Zum Vergleich: 2014 erlaubte Berlin die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von knapp vier Milliarden Euro. Damit liegt die Zunahme binnen nur zehn Jahren bei einem Plus von mehr als 200 Prozent. Haupttriebkraft des Anstiegs sind Waffenlieferungen an die Ukraine. Genehmigte die Bundesregierung im vergangenen Jahr die Lieferung von Rüstungsgütern im Wert von 6,06 Milliarden Euro an Kiew, so gab es in diesem Jahr bereits Genehmigungen im Wert von rund 8,1 Milliarden Euro. Allein dies waren ungefähr 62 Prozent des gesamten deutschen Exports von Kriegsgerät.
Konflikte beliefern
Die regionalen Schwerpunkte der übrigen Exportgenehmigungen zeigen – wie üblich [9] – sehr deutlich, welche Verbündeten in welchen Weltregionen die Bundesregierung bevorzugt aufrüstet. So lag Israel auf der globalen Rangliste der Empfänger deutschen Kriegsgeräts sowohl 2023 als auch 2024 unter den Top 10 – mit Genehmigungen für die Lieferung von Rüstungsgütern im Wert von 487,6 Millionen Euro.[10] In diesem Jahr lag die Türkei, die zur Zeit in Nordsyrien Krieg führt, mit Genehmigungen im Wert von 230,8 Millionen Euro auf Platz fünf. Im Mittleren Osten kamen im Jahr 2024 die Vereinigten Arabischen Emirate mit Genehmigungen für den Import deutscher Rüstungsgüter im Wert von knapp 146,6 Millionen Euro hinzu. Vor allem aber genehmigte die Bundesregierung den Export von Kriegsgerät an Staaten, die die westlichen Mächte als Verbündete in ihren Machtkampf gegen China einbinden wollen. Dies ist zum einen Südkorea, dem Berlin im vergangenen Jahr den Erwerb von Rüstungsgütern im Wert von 256,4 Millionen Euro erlaubte. Zum anderen genemigte die Bundesregierung dieses Jahr Singapur den Kauf von Kriegsgerät im Wert von 1,218 Milliarden Euro. Hinzu kommt Indien, das die Bundesregierung eng an sich binden will – nicht zuletzt, indem sie die Abhängigkeit New Delhis von Rüstungslieferungen aus Russland reduziert. Die Genehmigungen für deutsche Rüstungsexporte nach Indien erreichten in den vergangenen beiden Jahren zusammengenommen 437,6 Millionen Euro.
Mehr zum Thema: Die Konzentration der europäischen Rüstungsindustrie und Die Welt der Kriege.
[1] Florian Manthey: Kooperation mit Norwegen: Grundsteinlegung für U-Boot-Instandsetzungszentrum. bmvg.de 03.12.2024.
[2] S. dazu „Zeit für Kriegsmentalität“.
[3] TKMS erhält Milliarden-Auftrag für U-Boot-Bau. ndr.de 18.12.2024.
[4] Lars Hoffmann: F127 – Beschaffungsprozess für neue Luftverteidigungsfregatten kann starten. hartpunkt.de 18.12.2024.
[5] Weihnachten für die Bundeswehr. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.12.2024.
[6], [7] Bundestag bewilligt weitere 38 Beschaffungsvorhaben für die Bundeswehr. bmvg.de 18.12.2024.
[8] Vorläufige Rüstungsexportzahlen für das Jahr 2024 veröffentlicht und Rüstungsexportbericht für das Jahr 2023 verabschiedet. bmwk.de 18.12.2024.
[9] S. dazu Rüstungsexporte auf Rekordniveau.
[10] Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2023. Berlin, Dezember 2024.
Erstveröffentlicht bei German Foreign Policy
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9809
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