Hämische Verflechtungen

Alex Demirovic analysiert die deutsche Asyldebatte und ihre Protagonist*innen

Von Alex Demirovic

Bild: flickr

Schon vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen wurden die Wähler*innen von führenden Vertreter*innen aus der Wirtschaft immer wieder davor gewarnt, die AfD zu wählen. Das sei für die Wirtschaft und den Standort Deutschland schädlich. Fachkräfte aus dem Ausland könnten abwandern. Oder sie ließen sich vielleicht erst gar nicht gewinnen, eine Arbeit in den ostdeutschen Bundesländern aufzunehmen. Investoren könnten zu dem Schluss kommen, dass das Umfeld für ihre Unternehmen zu unfreundlich sein könnte und sie Investitionen unterlassen oder abziehen.

Nachdem die AfD in beiden Bundesländern jeweils über 30 Prozent der Stimmen erhalten hatte, wurden diese Warnungen erneuert. Auch die Vorsitzende der Deutschen Bank hat sich dieser Warnung angeschlossen. Ich muss sagen, dass diese Warnungen bei mir vielfältige Gefühle hervorrufen. Da ist einmal meine Zustimmung zu diesen Warnungen: Ja, es liegt nahe, dass Unternehmen, Hochschulen und Dienstleister Probleme bekommen werden, Personal zu finden. Wie kann man sich vorstellen, dass Menschen aus Südasien oder Afrika einen Arbeitsplatz in einer Software-Firma oder in einem Altersheim in Pirna oder Eisenach annehmen werden, wenn die Stadt von AfD-Vertretern verwaltet wird? Wenn man befürchten muss, dass die eigenen Kinder auf dem Pausenhof oder auf dem Schulweg angepöbelt oder gar körperlich angegriffen werden. Schon vor vielen Jahren hat eine Freundin von mir wegen ihrer farbigen Tochter eine wichtige berufliche Position in einer ostdeutschen Stadt abgelehnt, um nicht aus Frankfurt am Main wegziehen zu müssen.Alex Demirović

Alex Demirović stammt aus einer jugoslawisch-deutschen Familie; der Vater wurde von den Nazis als Zwangsarbeiter verschleppt. Wegen eines politisch motivierten Vetos des hessischen Wissenschaftsministeriums durfte Demirović in Frankfurt nicht Professor werden. Seitdem bewegt er sich an der Schnittstelle von Theorie und Politik. Jeden vierten Montag im Monat streitet er im »nd« um die Wirklichkeit.

Ein Fragezeichen habe ich vor Augen, wenn ich einerseits die Äußerungen der Vertreter der Wirtschaftsverbände höre, andererseits jedoch die Stellungnahmen ihrer politischen Parteien, also vor allem CDU/CSU und FDP. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht die führenden Funktionäre dieser Parteien sich aufs Entschiedenste gegen Migrant*innen aussprechen und für eine Schließung der Grenzen vor allem für Menschen aus Syrien oder Afghanistan, für eine Zurückweisung der Flüchtlinge und für entschiedene Abschiebungen stark machen. Es müsse endlich wieder die Kontrolle über die Grenzen hergestellt werden, so der Tenor.

Immer wieder wird die Migration dabei absichtlich oder aus mangelnder Einsicht mit islamistischem Terrorismus gleichgesetzt. Empirische, rechtliche oder moralische Einwände gegen das Gesetzesvorhaben haben nichts genutzt. Mittlerweile wurden die Gesetze verschärft, das Grenzregime weiter aufgerüstet. Doch es wird weiter Flucht und Zuwanderung geben und vermutlich auch weitere Anschläge von Islamisten, Neonazis und Rassisten. Das Asylrecht, die Genfer Flüchtlingskonvention, die europäischen Regelungen zur Migration: Es ist zu befürchten, dass alsbald auch die Forderung mehrheitsfähig wird, sich über jene Vereinbarungen und Verträge hinwegzusetzen. Schusswaffengebrauch wurde schon gefordert, ebenso die völliständige Schließung der Grenzen. Die Entscheidung dazu, der Notstand und der Ausnahmestaat werden von den Parteien und den Medien praktisch herbeigeredet. Am Ende wird die AfD sich als die Partei anbieten, die entschlossen für eine Lösung ist.

Es gibt jedoch tieferliegende Verflechtungen. In den Armeen Frankreichs und Großbritanniens haben während des Zweiten Weltkriegs Millionen Menschen gedient. Sie waren an der Niederschlagung des Faschismus und der Befreiung der Menschen in Europa und in Deutschland von der NS-Herrschaft beteiligt. Manche, wie Frantz Fanon, haben sich freiwillig gemeldet, weil es für ihn ein Krieg gegen den Rassismus und ein Engagement gegen den Antisemitismus war. Es hat wenig genutzt, an den Siegesfeiern seinerzeit wollte man sie nicht dabei haben: Sie waren wegen ihrer Hautfarbe, ihres Status als Kolonisierte unerwünscht. Brit*innen, Französe*innen, Niederländer*innen waren entsetzt, als nach dem Krieg die Kolonisierten die Methoden des antifaschistischen Kampfes nicht nur gegen die koloniale Herrschaft, sondern die Richtung der Migration umkehrten und nach Europa zogen. Heute werden die Kinder und Enkel*innen jener Generation daran gehindert, nach Europa zu gelangen. Manche werden vielleicht im Mittelmeer ertrinken, in den Lagern gequält, in den Asylzentren ihre Lebenszeit vernichtet. Sie müssen sich vorwerfen lassen, dass ihre postkolonialen Theorien antisemitisch seien. Die Erfindung der Staatsräson und die Bekämpfung der Einwanderung gehen Hand in Hand.

Es gibt weiterhin Zuwanderung von Reichen und Unternehmen, die nicht näher kontrolliert wird.

In Deutschland werden Straftäter bereits abgeschoben. Es wird daran gearbeitet, Asyl und Zuwanderung von Menschen aus Syrien zu verhindern. Aufgrund der Forderungen der türkischen Regierung gilt die PKK in Deutschland als Terrororganisation und ist verboten, Funktionär*innen dieser Organisation werden strafrechtlich verfolgt und eingesperrt. Doch die türkische Regierung unterstützt islamistische Organisationen. Es sind die Kurd*innen, die sich dem Islamischen Staat entgegengestellt haben. Dieser hatte systematisch Völkermord begangen, besonders galt dies mit Blick auf die Angehörigen der jesidischen Religionsgemeinschaft. Deren Angehörige wurden von den kurdischen Kämpfer*innen geschützt und befreit. Viele Jesid*innen sind ebenso wie Linke oder Kritiker*innen des Assad-Regimes aus Syrien vor dem Terror der Islamisten und Assads nach Deutschland geflohen.

Was bedeutet die Grenzschließung für diejenigen, die noch in Syrien oder Türkei nach Möglichkeiten suchen, nach Deutschland zu ihren Verwandten zu gelangen. In Nordsyrien werden etwa 55.000 islamistische Kämpfer*innen in Lagern von kurdischen Verbänden gefangen gehalten. Unter den Islamisten befinden sich viele aus Deutschland. Berlin will diese Kämpfer*innen nicht zurückkehren lassen. Die entsprechenden Gerichtsprozesse, die zu erwartenden Gefängnisstrafen, die Resozialisierungsmaßnahmen – das alles würde sehr teuer. Von der Terrorgefahr, die von diesen Kämpfer*innen ausgeht, gar nicht zu sprechen. Es ist also einfacher, sie in Syrien den Kurd*innen zu überlassen, die aber auch nicht wissen, wie lange sie es sich leisten können, solche Lager aufrecht zu halten. Es ist ein hämischer Kreislauf: Die Menschen, die vor dem Terror der Islamisten, des Assad-Regimes, vor den militärischen Angriffen der Türkei fliehen, werden nicht nach Deutschland hineingelassen. Aber Deutschland schützt die Menschen dort nicht vor den islamistischen Kämpfer*innen, die sein Produkt sind.

Es gibt weiterhin Zuwanderung von Reichen und Unternehmen, die nicht näher kontrolliert wird. In einigen EU-Staaten kann man Goldene Pässe kaufen, die Freizügigkeit in der EU gewährleisten – Griechenland hat gerade die Preise erhöht. In Brandenburg wird mit öffentlichen Mitteln die Ansiedlung eines Autohersteller gefördert, dessen Haupteigentümer rechtsradikale Positionen vertritt und die Gewerkschaften bekämpft, also zu jenen Bedingungen beiträgt, die die Demokratie sabotieren.

Erstveröffentlicht im nd v. 23.9. 2024 (nd-Abo)

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