Einen Weg aus der Altersarmut gibt es nur kollektiv, meint Olivier David
Von Oliver David
Bild: pixabay
Vor einiger Zeit wurde ich von einer Journalistin gefragt, wie ich auf meine eigene Rente blicke. Meine Antwort: Lachen. Ich sagte ihr, dass mein Rentenbescheid mich nicht gerade zuversichtlich stimmt, der Armut für länger als ein paar Jahre oder Jahrzehnte zu entkommen. Sobald ich Rente beziehen würde, wäre ich wieder arm. Die nächste Frage der Journalistin galt meinen Eltern: Wie es für mich sei zu wissen, dass ich sie im Alter nicht unterstützen könne. Diesmal schaffte es eine gequält klingende Antwort über meine Lippen: Ich habe mir nie vorstellen können, mich selbst über einen langen Zeitraum vor der Armut zu retten; daher musste ich davon ausgehen, dass ich zu einer Unterstützung meiner Eltern nie in der Lage sein würde.
Altersarmut betrifft diejenigen, die alt sind. Wer jünger ist, der hat häufig im Hier und Jetzt seine Sorgen. Damit sind wir mitten im Thema, denn armutsbetroffene Menschen im Alter haben quasi keine Lobby. Oder besser: keine wirkungsvolle Lobby. Zahlen zeigen: Für immer mehr Menschen ab 65 Jahren wird Altersarmut zum Problem.mplett anzeigen
Das Statistische Bundesamt ermittelte für 2023 knapp 3,25 Millionen von Armut bedrohte Menschen über 65 Jahren. Im Jahr davor waren es etwa Hunderttausend weniger, 2021 lagen die Zahlen bei 3,3 Millionen.
Die Zahlen Armutsbetroffener im Alter stagnieren, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Vor einer Dekade, 2013 also, waren 2,4 Millionen Ältere von Armut bedroht. Es gibt also eine Verschärfung des Problems – wenngleich die Kohorte der über 65- Jährigen konstant zunimmt. Höhere Zahlen von Altersarmut sind die Folge der Verringerung des Rentenniveaus. Bezogen Rentner*innen 1977 noch 59,8 Prozent ihres Lohns als Rente, sind es 2023 48,15 Prozent. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung prognostiziert für 2045 ein Rentenniveau von nur noch 45 Prozent und warnt vor einer Steigerung der Armutsrisikoquote von 20 Prozent.
Die Entwertung der Lebensleistung der Älteren findet auf einer zeitlichen Ebene statt. Haben sie bis zu 45 Jahre eingezahlt, müssen sie nun darauf hoffen, dass der Generationenvertrag zwischen ihnen und den Jüngeren stabil bleibt. Wer aber jemandem mal einen Gefallen getan hat und diesen Jahre später einfordert, wird feststellen, dass die Zeit den gemachten Gefallen entwertet hat.
Hinzu kommt das Problem der Lobby: Frei nach Marx können Rentner*innen ihre Stellung im Produktionsprozess nicht mehr geltend machen. Wenn sie streiken, steht die Welt nicht still, sie dreht sich weiter. Wie sehen politische Lösungen über die individualisierende Frage nach der Unterstützung meiner Eltern hinaus aus? Wie wäre es, die jüngst populär gewordene Forderung einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik um eine antifaschistische Rentenpolitik zu ergänzen? Arme Rentner*innen sind vor allem erst mal arm – und dann, in zweiter Instanz Rentner*innen.
Es ist an der Zeit, sich mit allen anderen Armutsbetroffenen zu verbünden: alleinerziehende Mütter, migrantisch ausgegrenzte Niedriglöhner, Menschen, die in Behindertenwerkstätten arbeiten oder psychisch erkrankt sind. Für höhere Renten braucht es höhere Löhne, und für diese wiederum braucht es eine Politik, die nicht unten gegen ganz unten ausspielt.
Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien von ihm »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen beschreibt. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. 2024 erscheint sein Essayband »Von der namenlosen Menge« im …
Erstveröffentlicht im nd v. 27.11. 2024
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187063.altersarmut-antifaschistische-rentenpolitik.html?sstr=Antifaschistische|Rentenpolitik
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