Photo: IG Metall
Daniel Weidmann* über die erste Berliner Tech Workers-Konferenz
Am 30. September 2022 haben der Berliner Ableger der »Tech Workers Coalition« (TWC), die Berliner IG Metall und ver.di Berlin gemeinsam eine englischsprachige
Konferenz für Betriebsratsmitglieder aus Berliner Tech-Betrieben mit knapp 70 Teilnehmer:innen organisiert. Der express sprach darüber mit dem Rechtsanwalt Daniel
Weidmann, einem der Konferenzorganisatoren.
express: Erzähl erst einmal was zur Vorgeschichte: Wie kam es zu Eurer Kooperation?
Daniel: Das Orga-Team der Konferenz bestand quasi aus alten Bekannten: Die Berlin Tech Workers Coalition hat sich bereits 2019 gegründet, inspiriert durch die Auseinandersetzungen in Kalifornien, den Google Walkout usw. Seit Anfang 2020 kennen wir uns alle und beziehen uns bei der Arbeit aufeinander. Yonatan und Laura organisieren regelmäßig kleine und mittelgroße Treffen zum Erfahrungsaustausch zwischen den Berliner Tech-Workers. Thomas ist bei der Berliner IG Metall für die Tech-Betriebe zuständig, die eher im IGM-Organisationsbereich liegen. Oliver ist der Tech-Ansprechpartner bei ver.di. Ich selbst bin Arbeitsrechtler und begleite ca. ein Dutzend englischsprachige Berliner Tech-Betriebsratsgremien anwaltlich.
Und funktioniert die Zusammenarbeit? Auch zwischen den beiden Gewerkschaften?
Ja, sehr gut. Es mag ja sein, dass das den beiden Organisationen auf Bundesebene schwerer fällt. Aber vor Ort ergänzt sich das sehr gut. Die Satzungslogik der DGB-Gewerkschaften ist nun mal so, wie sie ist, das können wir vor Ort nicht von heute auf morgen ändern. Also grenzt man eben ab, wer für welchen Betrieb zuständig ist. Aber punktuell hilft man sich auch aus. Ein Beispiel ist die BR-Wahl bei der Onlinebank N26: Im August 2020 ist die Berliner IG Metall spontan eingesprungen, als N26 unter dem Vorwand des Pandemiearbeitsschutzes eine einstweilige Verfügung gegen die von ver.di eingeleitete Betriebsratswahl erwirkt hatte. Die IGM hat sich die Einladung zur Wahlversammlung auf unsere Bitte hin einfach kurzfristig zu eigen gemacht. Darauf konnte die Arbeitgeberjuristin nicht mehr reagieren und die Wahl des Wahlvorstands nicht mehr verhindern. Gleichzeitig hat die TWC auf Twitter einen massiven Shitstorm losgetreten, auf den nach ein paar Stunden auch allerlei Promis eingestiegen sind. Daraufhin hat N26 kapituliert und keinen weiteren Widerstand gegen die BR-Wahlen geleistet.
Was sind das für Betriebsräte, die Ihr eingeladen habt?
Die allermeisten dieser Betriebsräte wurden erst in den letzten drei Jahren gegründet. Sie vertreten vor allem die Belegschaften aus Internetdienstleistungs- und App-Entwicklerbetrieben. Auch mehrere Online-Finanzdienstleister (sog. FinTechs) und Entwickler von Anlagen- und Fahrzeugsoftware sind mit von der Partie. Betriebsratssprache ist Englisch, ebenso wie die 1 vgl. dazu auch Daniel Weidmann: Die Macht des Shitstorms, Analyse & Kritik Nr. 663, https://www.akweb.de/bewegung/die-macht-des-shitstorms/express Nr. 10/2022Verkehrssprache im Betrieb. Der Anteil von Menschen, die erst kürzlich aus aller Herren Länder nach Berlin gezogen sind und kaum oder sogar gar kein Deutsch können, ist in diesen Betrieben extrem hoch. Es wäre nicht nur kaum zu leisten, die Betriebsratsarbeit auf Deutsch zu organisieren. Das wäre auch völlig willkürlich. Daher passiert dort alles auf Englisch: Die Sitzungen, die Schulungen, die Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite und die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften.
Sind denn viele Tech-Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert?
Die allermeisten dieser Betriebsräte wurden erst in den letzten drei Jahren gegründet. Sie vertreten vor allem die Belegschaften aus Internetdienstleistungs- und App-Entwicklerbetrieben. Auch mehrere Online-Finanzdienstleister (sog. FinTechs) und Entwickler von Anlagen- und Fahrzeugsoftware sind mit von der Partie. Betriebsratssprache ist Englisch, ebenso wie die Verkehrssprache im Betrieb. Der Anteil von Menschen, die erst kürzlich aus aller Herren Länder nach Berlin gezogen sind und kaum oder sogar gar kein Deutsch können, ist in diesen Betrieben extrem hoch. Es wäre nicht nur kaum zu leisten, die Betriebsratsarbeit auf Deutsch zu organisieren. Das wäre auch völlig willkürlich. Daher passiert dort alles auf Englisch: Die Sitzungen, die Schulungen, die Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite und die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften.
Sind denn viele Tech-Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert?
Bisher eher noch nicht. Das kann sich aber bald ändern. Die Tech-Party ist vorbei und das wissen die Beschäftigten auch. Seit die Zinssätze wieder steigen, kommen die gestern noch als Jobwunder in den Himmel gelobten App- und Software-Firmen nicht mehr an frisches Geld, weil ihre Investoren den Hahn zudrehen. Und davon, selbst schwarze Zahlen zu schreiben, mit denen man die eigenen Belegschaften bezahlen könnte, sind die allermeisten dieser Firmen meilenweit entfernt. Dementsprechend rauer wird der Ton. Viele Beschäftigte, die gestern noch mit ihrem Chef am Kickertisch standen, finden sich heute im Personalbüro wieder, wo ihnen ein Aufhebungsvertrag vorgelegt wird. So versuchen viele Arbeitgeber der Branche, ihren Personalabbau möglichst »geräuschlos« über die Bühne zu bringen. Mehrere Berliner Tech-Betriebsratsgremien müssen derzeit aber auch bereits Sozialplanverhandlungen wegen geplanter Massenentlassungen von jeweils mehr als hundert Beschäftigten führen. Da knallt es also schon richtig. Auch vor der Leitzinsanhebung war die Stimmung aber schon nicht mehr wirklich gut. Die Tech-Unternehmen haben ihre Beschäftigten während der Pandemie überwiegend ins Home Office geschickt und mit den damit einhergehenden Problemen meist komplett allein gelassen. Da viele Tech-Workers erst vor Kurzem nach Berlin gezogen sind und oft unter prekären Bedingungen zur Zwischenmiete in völlig überteuerten WG-Zimmern wohnen, traf sie das oft noch härter als alteingesessene Berliner:innen. Die Sozialkontakte auf der Arbeit sind einfach wahnsinnig wichtig, wenn man in eine fremde Stadt zieht und sonst niemanden kennt. Damit werben diese Firmen ja auch. Im Homeoffice hast Du aber nichts davon, dass im leergefegten Sozialraum deines Betrieb eine Tischtennisplatte, ein Müslispender und ein voller Bierkühlschrank stehen.
Aber das führt doch nicht automatisch zu gewerkschaftlicher Organisierung.
Nein, automatisch sicher nicht. Aber die Organisierungsperspektive ist so viel näher gerückt. Als die Mehrheit der Kolleg:innen ihre Arbeit noch als eine Art spielerische Betätigung begriffen hat, war das noch kaum vorstellbar. Mit den Problemen wächst aber auch das Bewusstsein für den Interessengegensatz zwischen ihnen und ihren Brötchengebern ‒ und damit auch ein Anknüpfungspunkt für Klassenbewusstsein und für gewerkschaftliche Organisierung. Der Boden dafür ist keineswegs ungünstig. Die meisten Tech-Workers verstehen sich schon von Haus aus als links und positionieren sich z.B. gegen Rassismus oder den Klimawandel. Klassenbewusstsein? Viele linke Beobachter:innen würden »Software Engineers« und Co. doch wahrscheinlich eher als privilegierte Gentrifizierer:innen beschreiben.express Nr. 10/2022Damit kann ich überhaupt nichts anfangen. Dieses Privilegien-Gerede taugt schon kategorisch nichts. Außerdem stimmt es auch einfach nicht, dass die alle überdurchschnittlich verdienen. Content-Moderator:innen, Click Worker und Kundendienstler:innen sind meist chronisch schlecht bezahlt. Und bei den Entwickler:innen gibt es auf jeden Fall einen riesigen Gender Pay Gap und teilweise auch rassistische Diskriminierung. Und auch die, die wirklich überdurchschnittlich gut verdienen, drohen tief zu fallen. Vor allem die, die mit einem Arbeitsvisum hier sind, müssen im Falle einer Kündigung mehr oder weniger sofort eine Anschlussbeschäftigung finden, sonst droht der Verlust des Aufenthaltstitels. Das dürfte in der aufziehenden Krise nicht ganz einfach werden, denn die anderen Betriebe bedienen sich ja auch des Personalabbaus oder haben zumindest Einstellungsstopp. Hinzu kommen die extrem hohen Mieten, die die Techies als Neuankömmlinge auf dem Berliner Wohnungsmarkt zahlen müssen ‒ ob sie wollen oder nicht. Hier von Privilegien zu reden, ist billig.
Und da habt Ihr mit dem Kongress angeknüpft?
Naja, das waren erst einmal nur ein paar bescheidene Schritte in die richtige Richtung. Aber ja, das waren schon alles Themen des Kongresses. Am Vormittag haben wir eine aufwändige Themensammlung gemacht und herausgearbeitet, dass sich die Probleme in allen Betrieben gleichen. Aber auch eine gemeinsame Perspektive jenseits der betrieblichen Organisierung wurde sofort sichtbar. Schließlich kam fast jede:r Teilnehmer:in auf Mietenwahnsinn und Klimawandel zu sprechen. Im Auftaktpanel der Konferenz wurden die Auswirkungen der TechGeschäftsmodelle auf Klima und Klimawandel dargestellt und später immer wieder diskutiert. Am Nachmittag hatten wir Workshops zu Gewerkschaftsrechten im Betrieb, Tarifvertragsfragen und zu den Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrats bei Personalabbau und bei technischer Überwachung am Arbeitsplatz. Bei den beiden Mitbestimmungsworkshops hatten wir jeweils Tech-Betriebsratsmitglieder auf den Podien, die den anderen BR-Kolleg:innen von ihren eigenen Erfahrungen mit den Auseinandersetzungen in den Verhandlungen und Einigungsstellenverfahren berichten konnten.
Ging es denn gar nicht um das Thema Migration?
Wir haben uns ganz bewusst dagegen entschieden, die Konferenz unter einer solchen begrifflichen Klammer zu bewerben, so nach dem Motto »Migration und Arbeit in der Tech-Branche«. Wir wollten die Kolleg:innen so adressieren, wie sie sich auch selbst bezeichnen: als Tech- Workers. Allerdings haben wir der Versuchung, hierzu wenigstens ein bisschen was zu machen, nicht widerstehen können. Daher haben wir mit unseren beiden Gästen Stefania und Adelaide auch einen Workshop zu den spezifischen Herausforderungen gemacht, mit denen Menschen zu kämpfen haben, wenn sie in den 2020er Jahren in Berlin ankommen: Rassismus, Mietenwahnsinn und Behördenstress. Ein konkretes Beispiel war der »Catch 22 der Anmeldung«: Um eine Wohnsitzanmeldung zu bekommen, braucht man einen Mietvertrag. Den bekommt man in der Regel nur, wenn man einen laufenden Arbeitsvertrag vorlegen kann. Um ein Arbeitsverhältnis einzugehen, wird allerdings meist ein deutsches Konto verlangt. Das kann man aber nur eröffnen, wenn man eine Wohnsitzanmeldung vorweisen kann. Außerdem ging es natürlich auch hier um Organisierung, nur eben jenseits des Arbeitsplatzes. Ein Beispiel war die AG »Right to the City« der Kampagne »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen«, in der sich explizit Neuberliner:innen ohne Wahlrecht organisiert haben, um für den Enteignungsvolksentscheid und seine Umsetzung zu kämpfen.
Und wie geht es nun weiter?
Gute Frage! Wir müssen das unbedingt mit weiteren Veranstaltungen vertiefen. Gleichzeitig sollte aber auch bald eine Brücke zu den endlich anlaufenden Heißer-Herbst-Protesten, zur Mieten- und zur Klimabewegung gebaut werden, damit das nicht nebeneinander herläuft. Da kommt also einige Arbeit auf uns alle zu.
* Daniel Weidmann arbeitet als Rechtsanwalt in Berlin. Das Gespräch führte das Berliner Korrespondenzbüro des express
Erschienen im „express“ 10/2022
Wir danken der Redaktion für das Abdruckrecht.
Hier auch ein Bericht der IG Metall Berlin: (Englisch)
https://www.igmetall-berlin.de/aktuelles/meldung/succesful-tech-conference/