Ukraine: „Es gibt fast keine Hoffnung mehr“

Von Florian Rötzer

Bild: pixabay

US-Präsident Joe Biden hat sich mit seiner Russland-Ukraine-Politik verrannt. Mit ihm sind wie Lemminge die anderen Nato-Staaten gezogen. Um China zu isolieren, wurde bewusst Russland durch Übergehen von dessen Sicherheitsforderungen an die Nato und die USA provoziert, militärisch handeln zu müssen. Russland hatte sich mit Maximalforderungen – neben der Neutralität der Ukraine keine Stationierung von Raketensystemen an der Grenze und keine Nato-Truppen in den osteuropäischen Nato-Ländern -, dem Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine und der Androhung von „militärisch-technischen Maßnahmen“ unter Zugzwang gestellt.

Ziel des durch die für die Ukraine aufgehaltene „offene Tür“ in die Nato provozierten Kriegs war die Schwächung Russlands und das Zerbrechen des chinesisch-russischen Machtblocks. Nach der ersten Schwäche der russischen Truppen und der durch westliche Waffen unterstützten erfolgreichen ukrainischen Verteidigung meinte man wohl in den westlichen Führungen, dass es besser sei, die Verhandlungen abzubrechen und den Krieg mit der Aussicht auf eine Niederlage oder einer militärisch-wirtschaftlichen Schwächung Russlands fortzusetzen. Russland würden die Waffen ausgehen, die Wirtschaft würde aufgrund der Sanktionen zusammenbrechen, man rechnete mit Aufständen oder gar einem Sturz von Putin. Nichts davon ist eingetreten. Auf ein alternatives Vorgehen hat man sich in der rauschhaften Siegesgewissheit über das Böse nicht vorbereitet.

Die Offensivfähigkeit der Ukraine ist längst verschwunden, der Vorstoß nach Kursk hat die Verteidigung an der Front geschwächt, die russischen Truppen rücken im Donbass und im Süden vor. Die militärische Lage sieht derzeit hoffnungslos aus, der Ukraine fehlen Waffen und vor allem Menschen. Und mit der Aussicht auf den Amtsantritt von Donald Trump ist für die Ukraine, aber auch für die Nato Ungewissheit dominant.

So warnt der frühere ukrainische Außenminister Kuleba, wie Politico schreibt, dass Trump „die Ukraine aushungern lassen wird, um sie gefügiger zu machen, falls sein Friedensversuch fehlschlägt“. Das wäre durchaus wahrscheinlich, weil Putin nicht wolle, die Folge würde sein: „Die Frontlinie im Donbass wird zusammenbrechen und die Russen werden sich vor den Toren von Dnjepr, Poltawa und Saporischschja befinden. Dies wird der gefährlichste Moment für die Ukraine in diesem Krieg sein.“ Selenskij werde, so meint er, kein Friedensabkommen unterzeichnen, in dem Russland die besetzten Gebiete behält und der Ukraine der Beitritt zur NATO verweigert wird. Das verstoße gegen die Verfassung und wäre das Ende von Selenskij. Wie üblich beschwerte er sich über die mangelde Unterstützung der Ukraine: „Die Menschen in Europa können sauer auf mich sein, aber ich habe immer wieder gesagt, und ich werde es auch weiterhin sagen, dass Russland heute einen Freund hat, der bereit ist, seine Soldaten für Russlands Krieg sterben zu lassen“, während die Freunde der Ukraine ihr nicht einmal die benötigten Waffen schicken.

Möglich wäre auch, dass Trump Putin zu Verhandlungen zwingen könnte. Der neu ernannte Antiterrorismusberater Sebastian Gorka nannte Putin einen Kriminellen und sagte, Trump plane den Ukraine-Krieg mit der Drohung zu beenden, dass er ansonsten die Ukraine mit Waffen überschwemmen werde, was die bisherige Waffenhilfe wie „peanuts“ erscheinen ließe.

Biden-Regierung hält an der gescheiterten Strategie fest: Weiter Krieg, mehr Waffen

Offenbar will die Biden-Regierung, die nicht als Verlierer dastehen will, obgleich sie es schon geschafft hat, einen Graben zwischen dem Globalen Süden und der Nato zu errichten und die Anti-Nato-Allianz der Atommächte Russland, China, Nordkorea zu stärken, einen letzten Versuch machen, das Schlimmste zu verhindern. Was das Schlimmste allerdings gerade provozieren könnte und für die Ukrainer, die sich in Umfragen mittlerweile mehrheitlich für Verhandlungen aussprechen, noch mehr Tod und Leid bedeuten wird.

Die Freigabe der weitreichenden Waffen für Angriffe tief im russischen Hinterland musste eine Reaktion Russlands hervorrufen: neben der Demonstration der mit sechs Atomsprengköpfen ausstattbaren Hyperschallwaffe die Veränderung der russischen Nuklearstrategie, die gleich wieder durch eine Veränderung der amerikanischen beantwortet werden musste und das weitere nukleare Wettrüsten beschleunigen wird. Dass die USA verpönte Antipersonen-Minen – wie zuvor Streumunition – an die Ukraine liefern, zeigt, dass man auch auf die Vorbehalte der Alliierten keine Rücksicht nehmen will.

Jetzt wurde bekannt, dass Biden den Kongress unter der Hand aufgefordert hat, weitere 24 Milliarden US-Dollar für Waffenlieferungen und das Auffüllen der Waffenlager zu bewilligen. Das Weiße Haus will 16 Milliarden US-Dollar zum Bestücken der amerikanischen Lager und weitere 8 Milliarden US-Dollar für die Ukraine Security Assistance Initiative (USAI). Politico schätzt wohl zu recht eine Zustimmung des Kongresses als gering ein.

Und wie die Nachrichtenagentur AP meldet, soll die Biden-Regierung Kiew unter Druck setzen, endlich auch 18-Jährige zum Kriegsdienst einzuziehen. Waffen habe die Ukraine ausreichend, es fehlten die Soldaten.

Hinter verzweifelten Siegesparolen erste Zugeständnisse aus Kiew

Der ukrainische Oberbefehlshaber Syrsky erklärt, die Ukraine dürfe sich nicht aufs Verteidigen beschränken: „Wir müssen die Initiative ergreifen und Gegenangriffe machen. Wir müssen und wir werden es. Wo und wer, wird man sehen.“ Das klingt eher nach den üblichen Durchhalteparolen angesichts einer kommenden Niederlage. Syrsky behauptet, dass die Lage in Pokrowsk und Kurachow „schwierig“ sei, aber „besser als vor einer Woche“, als sie „kritisch“ gewesen sei, gibt der Militärjournalist Sazonow Syrsky wieder. „Einige Einheiten zogen sich zurück, verließen ihre Stellungen, und es gab niemanden, der sie füllen konnte. In der Tat eine Krisensituation. Aber das Problem wurde gelöst, die Reserven wurden eingesetzt, die Pläne des Feindes wurden durchkreuzt.“

Gegenwärtig sind die russischen Truppen den ukrainischen personell weit überlegen. Wie da Gegenoffensiven gestartet werden sollen, wenn die Front bald zusammenbrechen könnte, ist kaum nachzuvollziehen. Der Leiter des Präsidialamtes, Andrij Jermak, erklärte hingegen jetzt in der schwedischen Zeitung Dagens Industri, die Ukraine sei zu Friedensverhandlungen bereit, wenn die Lage vom 22. Februar 2022 wiederhergestellt worden sei. Das ist schon ein erhebliches Zugeständnis, da bislang immer die Wiederherstellung der Grenzen von 1991 gefordert wurde: „Erfolgreiche Verhandlungen sind nur dann möglich, wenn alle Kriegsparteien den Willen haben, die Feindseligkeiten einzustellen. Darüber hinaus muss die Situation mindestens auf den Stand vom 23. Februar 2022 zurückgeführt werden.“ Gleichwohl hält er am „Siegesplan“ von Selenskij fest und sagt oder beschwört: „Den Sieg der Ukraine im Krieg sicherzustellen, ist eine zentrale Säule jeder glaubwürdigen Strategie zur Bewältigung der russischen Bedrohung. Moskau kann nur dann echte Verhandlungen aufnehmen, wenn der Kreml erkennt, dass seine derzeitige Strategie scheitert.“

„Lügen, Lügen, Lügen und Korruption auf jeder Ebene”

Die ukrainische Regierung muss wahrscheinlich so auftreten, aber jeder weiß, dass die Forderungen irreal sind. Die immer wieder für Aufruhr sorgende Rada-Abgeordnete Maryana Bezuglaya von der Selenskij-Partei „Diener des Volkes“, die im Militär- und Geheimdienstausschuss sitzt, schrieb gestern: „Es gibt fast keine Hoffnung mehr.“ Es wachse die „Gefahr des Zusammenbruchs der Staatlichkeit“. Sie geht hart ins Gericht: „Lügen, Lügen, Lügen und Korruption auf jeder Ebene. Eine Kultur des Betrugs als systemischer nationaler Charakterzug.“

Sie geißelt, dass aufgrund de Personalmangels auch Ärzte und Sanitäter in die Schützengräben abkommandiert werden, oder dass die Soldaten an der Front defekte Mörsergranaten von einem ukrainischen Unternehmen erhalten haben: „100.000 defekte Minen wurden vom Verteidigungsministerium akzeptiert und an die Front gebracht. Dennoch bleibt Umerov im Amt, beschäftigt mit Präsentationen und Händeschütteln für die PR.“

Und sie moniert, dass offenbar die russischen Vorstöße hingenommen werden: „Der russische Vormarsch auf Pokrowsk und die Region Dnipropetrowsk. Es sind nur noch wenige Kilometer, aber die Gesellschaft ist so ausgebrannt, dass im Internet praktisch nichts mehr davon zu lesen ist. Eine Stadt fällt, dann die nächste. In der Region Dnipropetrowsk wird derweil eine kreisförmige Verteidigung um Pawlohrad aufgebaut, aber Dutzende von Kilometern im Umkreis bleiben unverteidigt.“ Bezuglaya hat die Entlassung des Oberbefehlshabers Saluschnyi angestoßen und ist seitdem eine heftige Kritikerin der Armeeführung, auch des neuen Oberbefehlhabers Syrsky.

Erstveröffentlicht im Overton Magazin v. 27.11. 2024
https://overton-magazin.de/top-story/ukraine-es-gibt-fast-keine-hoffnung-mehr/

Wir danken für das Publikationsrecht.

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