Berufung gegenFU-Schmähkritikurteil

Ein Hinweis vorab: Im gesamten gesellschaftlichen Leben gibt es ein ausgefeiltes System von privat-, presse- und strafrechtlichen Möglichkeiten, mit denen sich derjenige wehren kann, der sich seine Persönlichkeitsrechte durch Veröffentlichungen verletzt glaubt. Das wird als ausreichend betrachtet. Nur im Arbeitsleben gibt es eine zusätzliche Möglichkeit der Sanktionierung: Die Abmahnung und (im gleichartigen Wiederholungsfall die Kündigung). Dabei dürfte bekannt sein, dass diese Sanktionierung in aller Regel nur in eine Richtung eingesetzt wird: Gegen die Beschäftigten.

Im Folgenden geht es darum, dass wegen einer Veröffentlichung eine Abmahnung erteilt wurde: Es geht um einen Aufruf, den die ver.di Betriebsgruppe und ihr Vorstand auf einer gewerkschaftseigenen Internetseite am 30. Januar 2024 veröffentlicht hatten. Darin hatten sie aufgerufen, sich an einer der zahlreichen Demonstrationen, die im Winter 2023/2024 gegen die AFD stattfanden, zu beteiligen. Ver.di hatte der FU auch vorgeworfen: Wer wie das FU-Präsidium Tarifverträge nicht einhalte, bekämpfe „aktiv Mitbestimmung und demokratische Prozesse“ und sorge „so für politischen Verdruss“. „Im Ergebnis“ fördere „auch die FU damit den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD, denen gewerkschaftliche Organisierung ebenfalls ein Dorn im Auge ist“. Diese Aussage ist der „Stein des Anstosses.“

Im Kern geht es um die sehr wichtige Frage, was eigentlich dazu führt, dass die AfD immer stärker wird. Wenn dazu nicht einmal mehr öffentlich Stellung genommen werden darf, wie soll dann die AfD wirksam bekämpft werden?

Zum FU-Schmähkritikurteil des Arbeitsgerichts Berlin gegen Aktive des Vorstandes der ver.di FU-Betriebsgruppe haben das Arbeitsgericht Berlin und ver.di Berlin-Brandenburg eine Pressemitteilung veröffentlich (siehe unter 1.) Auch die Anwälte haben sich zu Wort gemeldet (siehe unten 2). Sie haben Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts eingelegt.

1. Presseerklärung von ver.di

Ver.di Berlin-Brandenburg nahm zu einer Abmahnung Stellung, die die FU gegen Aktive des ver.di Betriebsgruppenvorstands aussprach, und verteidigte das Recht auf freie Meinungsäußerung ebenso wie die Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften. Ver.di unterstützt die Klagen der Aktiven.

Hier die Presseerklärung von ver.di

2. Berufung gegen Schmähkritikurteil eingelegt: Stellungnahme der Anwälte

Im Folgenden eine Stellungnahme der Anwälte Reinhold Niemerg und Benedikt Hopmann zu einer Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Berlin Nr. 01/25.

Das Arbeitsgericht begründete in seiner Pressemitteilung, warum es einem dieser Aktiven des ver.di Betriebsgruppenvorstands „Schmähkritik“ an der FU vorwirft.

Das Arbeitsgericht meint, in der Kritik fehlten „Anhaltspunkte in der Realität“; deswegen habe die FU die Abmahnung zu Recht erteilt. Dieses Urteil kommt dadurch zustande, dass das Arbeitsgericht die vorgetragenen und im Detail belegten Realitäten nicht zur Kenntnis genommen hat. Es wurden unter anderem Nichteinhaltung von Tarifverträgen und Tarifflucht durch Ausgliederung der Reinigungskräfte dargelegt und im Einzelnen belegt. Die Anwälte haben gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt.

Ein Auszug aus der Stellungnahme der Anwälte:

Schlechte Arbeitsbedingungen und das sich daraus ergebende Potential für Frust sowie Benachteiligungs- und Ohnmachtserleben – so zeigen die sozialwissenschaftliche Studien – sind ein Nährboden für die Entstehung anti-demokratischer Einstellungen, die dann von rechten Parteien mobilisiert werden können. Daher führt ein Verhalten, das das Vertrauen in den Bestand vereinbarter Tarifverträge erschüttert oder diese durch Tarifflucht in Form von Ausgliederung zu umgehen sucht und damit verunsichert und so antidemokratische Einstellungen fördert, im Ergebnis zu einem Rechtruck sowie zum Aufstieg der AfD.

Es ist eine der vorrangigen Aufgaben der Gewerkschaften, auf die gesellschaftspolitischen Auswirkungen hinzuweisen, die aus ihrem spezifischen Aufgabenbereich – der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen – resultieren können, und diese auch in Bezug auf die betriebliche Praxis der einzelnen Unternehmen konkret zu benennen und entsprechend zu adressieren.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin ist sowohl für die gewerkschaftliche Praxis und die Arbeit für die Betriebsgruppen in den Betrieben als auch mit Blick auf die künftige gesellschaftspolitische Entwicklung äußerst problematisch. Zum einen trägt es dazu bei, eine Tendenz zu befördern, dass pointiert vorgetragene gewerkschaftliche Kritik an den betrieblichen Zuständen vor Ort und ihre Einordnung in die gesellschaftspolitischen Entwicklungen sowie strukturellen Zusammenhänge in Zukunft von vornherein als Schmähkritik abgetan wird. Zum anderen ist es geeignet, die Arbeitgeber zu ermuntern, aktive Gewerkschaftsmitglieder in ihren Betrieben mit Abmahnungen und Kündigungsandrohungen zu überziehen, wenn diese sich kritisch hinsichtlich der vorherrschenden betrieblichen Verhältnisse äußern.“

Hier die vollständige Stellungnahme der Anwälte

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