Zum Europawahlprogamm der Partei Die Linke – wohin eigentlich?

wir veröffentlichen verschiedene Beiträge zum aktuellen Diskurs über Strategie und Zukunft „linker“ Parteien und Bewegungen mit sozialistischem Anspruch. Heute von Andreas Grünwald (Hamburg) ein kritischer Kommentar und erste Eindrücke zum frisch erschienenen Europawahlprogramm der Partei die Linke.

Europawahlprogramm der Partei die Linke. Meine ersten Eindrücke!

von Andreas Grünwald, 14.9.2023

„Habe mir heute Abend in einem ersten Schnelldurchlauf die 86 eng beschriebenen Seiten des Entwurfs eines linken Programms zu den EU-Wahlen rein gezogen. 86 Seiten, die in einem besser lesbaren Format auf vermutlich 100 Seiten anwachsen werden. Aber die es zugleich an keiner einzigen Stelle schaffen diese EU mal als das einzuschätzen und zu beschreiben, was sie tatsächlich ist: ein imperialistisches Projekt nach innen und nach außen, das weder zu demokratisieren noch in grundsätzlichen Fragen zu reformieren ist.

Stattdessen wird – mit vielhundertfacher Verwendung des Begriffs von der „Gerechtigkeit“ (und der damit ja völlig entleert zu einer Phrase für alles und damit zugleich für nichts wird) – nun so getan, als wenn diese EU durch besonders viele linke Vorschläge – und ohne dabei die Frage zu beantworten, wie diese eigentlich durchgesetzt werden können – in ein „demokratisches“ und „friedensorientiertes“ Projekt verwandelt werden kann.

Ich finde: Das ist noch weniger als nur Doktor am Krankenbett des Kapitalismus zu sein … Denn es streut gefährliche Illusionen, die dazu beitragen könnten, politische Debatten und Aktivitäten in eine völlig falsche Richtung zu drängen. Denn Demokratie meint im Verständnis dieses Programms die EU zu stärken: Durch eine Verdoppelung ihres Haushaltsvolumens. Durch eine Stärkung „internationaler Gerichtsbarkeit“. Durch eine Integration weiterer Länder. Auch durch eine Veränderung und Zentralisierung von Entscheidungsprozessen. Beispielsweise für mich eher das Gegenteil von mehr Demokratie, die doch eher damit zu stärken wäre, wenn die Macht supranationaler imperialistischer Strukturen geschwächt, kommunale und regionale Selbstverwaltung indes gestärkt werden würde.

Der Friedensteil ist in diesem Programm ziemlich weit nach hinten gerutscht. Dafür gibt es nun vorweg ganz viel Klima“gerechtigkeit“. Angefangen mit der Forderung nach noch mehr Wärmepumpen bis hin zu der Forderung Bienen und Insekten in der Landwirtschaft zu stärken. Naja ich frage mich ernsthaft welche Wählerinnen und Wähler das eigentlich jemals alles lesen werden …

Dieser Friedensteil enthält nach einem ersten Durchlesen durchaus sinnvolle Vorschläge, etwa im Bereich von Abrüstung und Entmilitarisierung. Doch an einigen Stellen bleibt es unzureichend oder auch ziemlich schwammig. Ein kollektives Sicherheitssystem sei etwas für eine spätere Zukunft, heißt es da etwa. Zunächst sei es nun erst mal wichtig, dass die russische „Diktatur“ ihre Truppen aus der Ukraine zurückziehe … Kein Wort indes zur Vorgeschichte dieses Krieges und dazu, wie insbesondere die Nato und der Westen diesen Stellvertreter-Krieg mit provoziert haben …

Ähnlich einseitig auch die Forderung russischen Deserteuren Asylmöglichkeiten einzuräumen, während aber mit Blick auf ukrainische Deserteure genau das unterbleibt, aber noch im gleichen Satz das Recht der Ukraine auf „Selbstverteidigung“ betont wird …

Schwammig auch der Abschnitt zum stattfindenden Wirtschaftskrieg … Jedenfalls vermeidet der Entwurf diesbezüglich eine klare Forderung …

Osteuropa bestünde heute aus vielen souveränen Staaten, heißt es an anderer Stelle. Denen stünde das Recht zu in die EU einzutreten, sofern soziale und demokratische Voraussetzungen dafür bestünden. Sofort blitzt in meinem Kopf die Frage auf, von welchen osteuropäischen Staaten da eigentlich konkret die Rede ist? Und auch: ob es denn die Aufgabe einer linken Partei sein kann die Erweiterung dieser EU einzufordern und damit insbesondere den Menschen in der Ukraine eine ökonomische und politische Perspektive auch für die Zukunft aufzudrücken, die doch in nichts anderem bestehen würde, als sie zu einem dauerhaften Lieferanten von Billiglohnkräften abzustempeln, ihnen aber zugleich jede Chance für eine eigenständige ökonomische Entwicklung verbauen würde.

Also mir ist schon klar, dass insbesondere Kreise aus dem Bundesverband der Industrie genau letzteres gegenwärtig fordern. Aber mit welchen Ambitionen dies verbunden ist, wenn dies Linke einfordern, bleibt mir rätselhaft.“

Wir danken für die Publikatiosnrechte

Der Beitrag von Andreas wurde ausführlich kommentiert. Hier zwei besonders kritische Auszüge, die die Kritik auf den Punkt zu bringen versuchen:

„Wenn es eine Klammer gibt heißt sie Reformismus. Viele Genoss:innen werden den Text toll finden, weil sie gar nicht erkennen können was Wolfgang Port politisches Bettnässen nannte. Man meint, man hätte den Kapitalismus mutig und hart kritisiert und erwartet nun dafür das Bundesverdienstkreuz.“ ( Heinz-Dieter Lechte)

„Es ist bedrückend, zu erleben, wie die imperialen, hegemonialen Ambitionen zur Normalität erhoben und wie vor allem der Charakter der EU völlig blind unterschätzt wird. Was ist da bloß mit „Links“ geschehen? … “ (Katjusha Kozubek)

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