Ein ganz Seltener Vogel

Himmlers „bestgehasster Mann Bayerns“: Jakob Boulanger (08.01.1897 – 16.03. 1968)

Von Jutta Harnisch

1957 erschien im Verlag Volk und Welt Din Buch mit dem Titel „Eine Ziffer über dem Herzen“. Der Einband war mit einem roten Dreieck und der Ziffer „24073“ so­wie dem Untertitel „Erlebnisbericht aus zwölf Jahren Haft von Jakob Boulanger, aufgezeichnet von Michael Tsches-no-Hell“ versehen.

Im Vorspann heißt es:
„Jakob Boulangers Bericht ist so hart
wie die Betonzelle im KZ-Bunker,
in der er viele Jahre
seines Lebens zubringen mußte.
Er ist so hart wie die Ketten,
an die er geschlossen war.
Aber er ist zugleich menschlich,
kraftvoll menschlich.
Alles, was ich nach Erzählungen
und Niederschriften
Jakob Boulangers aufzeichnete,
beruht auf Tatsachen,
die jederzeit überprüfbar sind.
Michael Tschesno-Hell“

Häftling Himmlers

Auf 151 Seiten berichtet Jakob Boulenger von acht Jahren in faschistischen Konzentrationslagern im Anschluss an 38 Monate im Zuchthaus. Ab September 1936 verbringt er elf Monate angekettet im Bunker des KZ Dachau in isolierter Dunkelhaft. Doch: „Revolutionäre haben einen starken Willen zum Leben.“ Verlegt in eine helle Zelle, steht ihm eines Ta­ges Reichsführer-SS Heinrich Himmler, umgeben von hohen SS-Offizieren, ge­genüber: „Meine Herren, hier sehen Sie einen ganz seltenen Vogel. Das war der bestgehaßte Mann in Bayern.“— Boulanger muss eine hervorragende politische Arbeit gegen die Nazis geleistet haben, um sich solchen Hass zuzuziehen. Fort­an wird er als besonderer Häftling Himmlers angesehen.

Im September 1939 wird Boulanger mit anderen Bunkerinsassen aus Dachau ins KZ Buchenwald verlegt. Dort regiert den Bunker Hauptscharführer Sommer, „der schrecklichste von all den SS-Bütteln, die ich in meiner langen Haftzeit kennenge­lernt habe“. Die Bunkerhäftlinge müssen von 4.30 Uhr morgens bis 21 Uhr abends stehen. Davon bekommt man Wasser in den Beinen. „Wasser in den Beinen aber ist gleichbedeutend mit einem Todesur­teil …“ Denn wer sich krankmeldet, erhält

eine Todesspritze. „Also hieß es gehen, in einem fort ge­hen … vier Schritte zum Fens­ter, vier Schritte zur Tür… Stunde um Stunde, Tag um Tag, Monat um Monat, Jahr um Jahr.“ Täglich um die 26 Kilometer, rechnet er aus. Doch noch viel quälender ist „dieses ewige Nichtstun“ und „das Grübeln über die eige­ne Lage. … Tag für Tag die Frage, … wie lange man das physisch und psychisch noch ertragen kann“. Er stellt sich Aufgaben unterschiedlichs­ter Art, die er im Kopf lösen muss.

Vom Schicksal hartgeklopft

Hunger, Durst, Kälte, Krank­heit, Schlaflosigkeit — das al­les kann Jakob Boulanger nicht brechen. Zudem muss er in seiner Bunkerzelle die Torturen und Morde an den Kameraden mit anhören und ohnmächtig erleben. wie gute Freunde neben ihm zugrunde gehen. „Mich hat das Schicksal hartge­klopft“, schreibt er. Am Weihnachtsabend 1939 händigt ihm Sommer einen Brief vom Gericht mit der Scheidungsklage aus. Das Urteil ist bereits gefällt. Boulan-ger, fassungslos und völlig verzweifelt, beschreibt, wie er in diesem Moment bei­nahe sein Leben beendet hätte.

Im Frühjahr 1943 kommt Boulanger ins KZ Mauthausen. Er wird von einem Häft­ling sofort beiseite genommen und eine Zeit lang im „Russenblock“ versteckt, an­schließend dem Arbeitskommando im Le­bensmittelmagazin zugeteilt — beides auf Betreiben des illegalen Lagerkomitees. Von ihm erhält er auch den Auftrag, zu­sätzliche Lebensmittel für schwache und kranke Kameraden zu beschaffen.

Am 5. Mai 1945 wird das KZ Mauthausen von US-amerikanischen Panzern er­reicht. Jakob Boulanger ist frei.

Biografie

1897 in Köln als Sohn eines Schuh­machers geboren, lernte Jakob Boulanger Kunstschmied. Seit 1915 gehörte er dem Deutschen Metallarbeiter-Verband an. 1916 zum Kriegsdienst eingezogen, beteiligte er sich als Soldat an der Ost­front 1917 an Verbrüderungsaktionen mit russischen Soldaten. 1918 zunächst

Mitglied in der USPD, schloss er sich dem Spartakusbund an und wurde Grün­dungsmitglied der KPD. In den nächsten Jahren war er als Betriebsratsvorsitzeder aktiv. Ab 1926 war er hauptamtlicher KPD-Funktionär: erst in Köln, ab 1927 Organisationssektretär des KPD-Unterbezirks Mittelrhein sowie Leiter des Frontkämpferbundes (RFB) in Nordbayern, ab 1929 Organisationsleiter und ab 1930 Politischer Sekretär der Bezirkslei­tung Nordbayern der Partei. 1932 wurde er für die KPD in den Bayerischen Land­tag gewählt.

Boulanger nahm an der letzten Tagung des ZK der KPD in Deutschland am 7. Fe­bruar 1933 im Sporthaus Ziegenhals teil. Bereits unter Bedingungen der Illegalität wurde er im April 1933 Politischer Leiter der KPD in Thüringen, organisierte den antifaschistischen Widerstandskampf. Im Sommer 1933 wurde er verhaftet.

Nach der Befreiung war Jakob Boulanger in verschiedenen verantwortungsvol­len Wirtschaftsfunktionen in der sowje­tischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) und in der DDR tätig.

Im vergangenen Jahr wäre Boulangers 125. Geburtstag gewesen. vor wenigen Tagen war sein 55. Todestag. Ein Mann, der mit Charakter, Überzeugung und Willen zum Leben allen Grausamkeiten der Nazis trotzte, der mutig. standhaft, unge­brochen und mitfühlend geblieben war — jeden Tag aufs Neue.

Erstveröffentlichung; “Unser Blatt” Ausgabe 81, April 2023

Jutta Harnisch ist Mitglied der Geschäftsführung der Berliner VVN BdA

Wir danken der Autorin für das Abdruckrecht.

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