Diskurs „Die LINKE der ZUKUNFT“

Ein Richtungsstreit tobt bei den Linken. Mit seinen 15 Thesen hat Mario Candeias einen Nerv getroffen. Im Blog der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine Strategiediskussion entbrannt. Es lohnt sich, diesen Diskurs genauer anzuschauen.

(Foto: Jerry Segraves (en:User:Jsegraves99), Public domain, via Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Blackbird-sunset-03.jpg)

Als Außenstehende weiß ich nicht so recht, was los ist bei der Partei die Linke, nur dass es in den eigenen Reihen brodelt und die Wählergunst bedenklich zurückgeht. Der Vorstand scheint mit einem nicht geringen Teil der Mitgliedschaft über Kreuz zu liegen. Die Verunsicherung wirkt ein auf alle linken Bewegungen, auch außerhalb des Parteiprojektes.

Auf die Rezeptionen der gängigen Medien über die Krise der Linken ist kein Verlass, zugunsten reißerischer Akzente wird zumeist ja an Tiefe gespart und das Kapital schreit angesichts der Spaltungen „gebt ihnen Saures“.

Umso mehr fragt man sich immer wieder: Gibt es noch Hoffnung? Kann die Partei Die Linke und die gesellschaftliche Linke überhaupt wieder an Stärke gewinnen? Was muss passieren?

Mit seinen 15 Thesen zur Zukunft der Linken hat Mario Candeias einen Nerv getroffen. Das zeigt vor allem die Resonanz, die sein Beitrag, eine strategische Analyse und Prognose, in kurzer Zeit auslöste. Seit dem Erscheinen im Juli 2023 im Blog der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine spannende und lesenswerte Strategiediskussion entbrannt – mit Gegenentwürfen von Ines Schwerdtner, Andreas Fisahn und Samuel Decker.

Der Diskurs ist Balsam für den Intellekt.

Alle Texte eint, dass sie sich an Candeiras Voraussage reiben, der der (gesellschaftlichen) Linken ein ganzes Jahrzehnt des Stillstands prophezeit. Gleichwohl stehen sie mit ihren fundierten Analysen in Kontrast zu dem, was aus der Partei selbst kommt.

Wir dokumentieren und kommentieren die bisher erschienenen Beiträge hier für Euch, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Jeder mag sich ein eigenes Bild machen und diskutieren ist ausdrücklich erwünscht.

„Wir leben in keiner offenen Situation mehr“ von Mario Candeias

15 Thesen zum Ende des Interregnums und warum es gerade jetzt einen Neustart der LINKEN braucht

von Mario Candeias, 21. Juli 2023

Zitiert von: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/wir-leben-in-keiner-offenen-situation-mehr/

Der Text in Auszügen (Thesen bitte aufklappen):

These 1 – Wir leben in keiner offenen gesellschaftlichen Situation mehr …

…Die Entwicklungspfade sind umkämpft, aber viele Alternativen bereits verunmöglicht und Wege verschlossen. (…)

These 2 – Es bildet sich ein hegemonialer Entwicklungspfad heraus, …

… der unterschiedliche Ausprägungen eines grünen Kapitalismus umfasst (Varieties of Green Capitalism). (…)

These 3 – Diese Entwicklung wird überlagert von einer neuen Blockkonfrontation…

… Sie ordnet sich weniger entlang der Linie Demokratie vs. Autoritarismus, sondern ist geprägt von der harten Konkurrenz um die globale Führung in der neuen Entwicklungsperiode hin zu einem hochtechnologischen und aufgerüsteten grünen Kapitalismus. (…)

These 4 – Dieses hegemoniale Projekt der unterschiedlichen Formen eines grünen Kapitalismus wird bereits jetzt herausgefordert:…

… von der Konvergenz eines radikalisierten Konservatismus mit der radikalen Rechten und von einer aggressiven Verteidigung der fossilistischen Lebensweise, die harte Kulturkämpfe auf allen Ebenen einschließt. Sie bergen ein großes Destruktionspotenzial. (…)

These 5 – Die verschärfte Polarisierung im Inneren sowie die neue globale Blockkonfrontation führen …

… in dieser Entwicklungsperiode zu einem deutlich höheren Niveau an gesellschaftlicher und zwischenstaatlicher Gewalt. Zugleich bildet die ökologische Modernisierung zwar das Herz der ökonomischen Transformation und Akkumulation, sie erfolgt aber nur mit kapitalistischen, also wachstumsorientierten Formen und sie kommt viel zu spät. (…)

These 6 – Für viele Länder des globalen Südens, die über wichtige Rohstoffreserven verfügen und/oder …

… von der Klimakrise stark betroffen sein werden, bringen die kommenden Krisen und Katastrophen externe Schocks und innere Zerfallsprozesse mit sich. Die alten kapitalistischen Zentren stellen sich darauf ein. (…) Die Zonen der Unsicherheit müssen nicht unbedingt kontrolliert, können vielmehr eingehegt werden. Es entsteht eine Art »gated capitalism« – auch ohne funktionierende Gemeinwesen in den Zonen der Unsicherheit. (…)

These 7 – Katastrophen werden auch in den kapitalistischen Zentren zu heftigen Transformationskonflikten führen. …

… Zu den Katastrophen zählen Wetterereignisse wie Überschwemmungen oder Dürren, Probleme der Ernährungssouveränität, ökonomische und soziale Krisen durch langfristige Preissteigerungen aufgrund von beschränkten Ressourcen, der Abriss und die Neuordnung von Lieferketten, die Internalisierung ökologischer Kosten in die Preise für Lebensmittel und Konsumgüter, die Kapitalvernichtung bei fossilistischen Industrien und viele weitere Entwicklungen. (…)

These 8 – Viele spüren in diesen Zeiten multipler Krisen und kommender Katastrophen eine Überforderung, …

… die ihre eigene und eine gemeinsame Handlungsfähigkeit gefährdet. Viele haben das Gefühl, dass alles anders werden muss, die Dringlichkeit ist fast überwältigend. Und doch geht kaum etwas voran. (…)

Die Tatsache, dass es immer schwieriger wird, sich zu arrangieren, erzeugt aber auch ein Potenzial des Widerstands. Dieses kann aber nur gehoben und organisiert werden, wenn es gelingt, mögliche realisierbare Schritte mit politischem Gestaltungswillen und einer Perspektive des Systemwechsels überzeugend zu verbinden. (…)

These 9 – Was bedeutet all das für die gesellschaftliche Linke? …

… Sie wird nicht untergehen, aber sie wird für mindestens ein Jahrzehnt oder länger eine defensive Position einnehmen und kaum Gestaltungsraum haben. (…)

Die Krise der parteipolitischen Linken kann in Deutschland, wie schon in Italien zuvor, zu ihrer praktischen Vernichtung führen. Dies gilt es mit möglichst vielen Kräften zu verhindern, notfalls auch durch klare Profilbildung, die Trennungen in Kauf nimmt. (…)

These 10 – In der krisenhaften Übergangsphase der letzten eineinhalb Jahrzehnte sind neue gesellschaftliche Konflikt- und Spaltungslinien entstanden, …

… die quer durch alle Parteien gehen und seit 2011 zu einer permanenten Umordnung des Parteiensystems geführt haben. (…)

Ursächlich für die Krise der Partei war auch, dass politische Konfliktlinien und Widersprüche sich mit Fragen innerparteilicher Macht und dem Kampf um Ämter und Posten verwickelten. Das erklärt zum Teil, weshalb viele der Konflikte in den letzten Jahren mit solcher Heftigkeit ausgetragen wurden. (…)

These 11 – Die gesellschaftliche Marginalisierung der Linken wird angesichts von sehr beschränkten Mitteln …

… zur Förderung des sozialen Zusammenhalts, angesichts von zunehmenden Gewaltverhältnissen und einem Leben mit der Katastrophe zur Überlebensfrage. (…)

Es braucht Organisationen, in denen es möglich ist, Veränderung selbst in die Hand zu nehmen, oft im Kleinen, aber mit Blick auf das Ganze. Solidaritätsinitiativen können wichtige Ausgangspunkte dafür sein. (…)

Es ist die Hoffnung auf und die Arbeit an einem erneuerten Sozialismus. Denn die Hegemonie der Herrschenden ist nie vollständig und die inneren Widersprüche des Kapitals und des Blocks an der Macht brechen immer wieder auf. (…)

These 12 – Linke Defensive bedeutet entsprechend nicht, dass nicht fortwährend gesellschaftliche Auseinandersetzungen stattfänden. …

… Gesellschaftliche Widersprüche werden auch in einer neuen Periode nicht stillgestellt. Das insgesamt höhere Niveau von Krisen und Katastrophen bildet vielmehr die Grundlage dafür, dass aus kleinen generischen Krisen schnell größere werden können und Kämpfe sich verdichten. (…)

Zentral wäre dabei, nicht passiv auf solche Momente zu hoffen, sondern aktiv und gemeinsam mit Bündnispartner*innen herausgehobene gesellschaftlich produktive Konflikte zu erzeugen, die einen klaren Gegner benennen. (…)

These 13 – Eine neue Hegemonie schafft neue Bedingungen für ein neues Projekt von links. …

… So führte erst die Verallgemeinerung des Neoliberalismus durch sozialdemokratische Regierungen (in Deutschland unter Rot-Grün) dazu, dass oppositionelle gesellschaftliche Gruppen sich entscheiden mussten und entweder in den Machtblock aufstiegen oder eben draußen blieben. (…)

Es wächst der Druck zur Konvergenz links-sozial-ökologischer, links-gewerkschaftlicher, sozialistischer, feministischer und radikaler Kräfte, die unter der neuen Hegemonie keine Repräsentation oder zu wenige Bündnispartner*innen finden, um wirksam zu sein. (…)

These 14 – Für eine solche Konvergenz gibt es aber leider keinen Automatismus. …

… Bestehende Organisationen sollten nicht leichtfertig auf Spiel gesetzt werden – was wiederum kein Argument gegen die Erneuerung einer bestehenden Organisation sein sollte. (…)

Nach innen braucht es eine programmatische Erneuerung und ein Signal des Aufbruchs in den Themenfeldern Frieden, sozial-ökologischer Systemwechsel und Infrastruktursozialismus, Arbeit und Ökonomie der Zukunft. (…)

Ihr höchstes Potenzial hat die LINKE weiter bei Haushalten mit einem niedrigen Einkommen. Es sind diese Gruppen, welche – anders als häufig suggeriert – die dezidiert sozial-ökologischen Forderungen der Partei am stärksten befürworten. Bekanntermaßen gehen diese Wählergruppen aber besonders häufig nicht zur Wahl. Hier braucht es also eine überzeugende Nichtwähler-Strategie.

These 15 – Zu bedenken wären bereits jetzt Wege zu einer disruptiven Neugründung der LINKEN aus dem strategischen Zentrum der Partei heraus. …

… Das wäre der umgekehrte Weg von #aufstehen, vergleichbar eher mit Momentum in UK: Es geht darum, eine Struktur für Aktive, Gewerkschafter*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen zu schaffen, die nicht Teil der Partei sein wollen (oder können) und sich dennoch in eine verbindliche Unterstützungsstruktur einbringen wollen. (…)

Es braucht eine Art Doppelbewegung nach innen und nach außen: ein Signal an die „eigenen Leute“, die Aktiven und Nicht-mehr-Aktiven der Partei, aber auch ein Signal nach außen, dass nun eine neue Zeit beginnt. (…)

1. Reaktion von Ines Schwerdtner, August 2023

Wir leben in keiner offenen Situation mehr? Aber natürlich!
Warum die kommenden Monate für die LINKE entscheidend sind – ein Gegenentwurf zu Mario Candeias’ 15 Thesen

Zitiert von: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/offene-Situation/

Kurz: Der Analyse zum Kampf der Kapitalfraktionen „grüner Kapitalismus“ und konservativ „fossil rückwärtsgewandtem Kapitalismus“ wird ausdrücklich zugestimmt, aber dem pessimistischen Ausblick auf ein Jahrzehnt dezimierter Linker wird widersprochen.

Ines Schwerdtner bestreitet die Defensivposition, in der Candeiras die Linke sieht. Die Spaltung der Partei ist nicht unumgänglich. Die Mitte muss erhalten werden.

„So nachvollziehbar der Wunsch nach klarer Profilbildung ist, nimmt sie eine Schwächung der Linken über Jahre in Kauf und beschränkt sich bewusst auf ein (eher aktivistisches) Milieu.“

Ines Schwerdtner

2. Reaktion von Andreas Fisahn im August 2023

Im Alten das Neue aufspüren
Von einer gerechten Verteilung ist die grüne Transformation weit entfernt. Trotzdem und gerade deshalb finden sich hier Interventionspunkte für eine linke Politik.

Zitiert von: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/im-alten-das-neue-aufspueren/

Kurz: Andreas Fisahn nimmt einen geradezu philosophischen Blickwinkel ein, arbeitet sich am Potential der gesellschaflichen Widersprüche ab. Wie es in der EU-Verfassung mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Art. 120 AEUV) festgelegt ist, beschreibt er die EU als marktradikal. Ähnlich wie Ines Schwerdtner meint er jedoch einen „Spurwechsel in der Europapolitik“ zu erkennen, die mit dem Green Deal das neoliberale Politikmodell in Teilen hinter sich lässt.

Er geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt angesichts „grüner“ Vorgaben zur Produktion von erneuerbaren Energien und E-Mobilität, aber leider auch angesichts staatlicher Eingriffe bei der Rüstungs- und Kriegswirtschäft, die Frage „Ist das schon Sozialismus?“. Die Rolle des kapitalistischen Staates als „idealer Gesamtkapitalist“, auch im Neoliberalismus wird quasi romantisiert.

„Für eine ökologische Umstellung der Wirtschaft, das heißt die ökologische Transformation zum grünen Kapitalismus, muss nicht nur entschieden werden, wo und wie nicht produziert wird, sondern es muss entschieden werden, was produziert wird.“

Andreas Fisahn

3. Reaktion von Samuel Decker im August 2023

Es hat gerade erst begonnen
Während sich die Klimakatastrophe auch im globalen Norden immer deutlicher auswirkt und geopolitische Konflikte eskalieren, scheint die gesellschaftliche Linke und auch die Partei die LINKE zu zerfallen. Muss das so sein? Oder gibt es noch eine Chance für einen linken Aufbruch?

Zitiert von: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/es-hat-gerade-erst-begonnen/

Kurz: Samuel Decker teilt Candeiras These, dass wir in keiner offenen gesellschaftlichen Situation mehr leben. Der politische Handlungskorridor wird von ökologischen Krisen, Verwertungsbedingungen des Kapitals und festgefahrenen geopolitischen Situation bestimmt. Auch wenn den politischen Kräften das Krisenmanagement entgleitet, werden politische Alternativen in autoritärer Weise bekämpft.

Nach Samuel Decker wird nur eine Linke Erfolg haben, die sich als radikale (sozialistische) Wirtschaftspartei versteht und gesellschaftliche Kulturkämpfe austrägt. Warum er die Spaltung der Partei der Linken deswegen für unumgänglich und die Strategie mit den Positionen von Sahra Wagenknecht für nicht vereinbar hält, erschließt sich gegen Ende des Textes nicht so ganz.

„Über notwenige Formen der sozialen Umverteilung durch Kapitalbesteuerung und Vermögensabgaben hinaus geht es um eine konkrete Gesamtstrategie für den Umbau der Ökonomie – um Preiskontrollen, Kapitalverkehrs- und Investitionskontrollen, Investitionsplanung, Industriekonversion, Vergesellschaftung und schließlich um den Aufbau post-kapitalistischer Formen demokratischer ökonomischer Planung.“

Samuel Decker

Die Diskussion ist eröffnet!

Auch innerhalb der Partei Die Linke macht man sich zur Erneuerungsstrategie der Partei Gedanken. So ist auf dem Blog der Rosa-Luxemburg-Stiftung im August 2023 ein Papier des Soziologen und Kreissprechers Thomas Goes (Göttingen/Osterode) erschienen. Der Artikel steht in starkem Kontrast zu den fundierten Analysen der vorherigen Autoren.

Mit dem Gesicht zu den Menschen
13 Gedanken zur Öffnung und Erneuerung der LINKEN

Zitiert von: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/gesicht-zu-den-menschen/

Kurz und überspitzt: Der Text steht symbolhaft für das, was aktuell in Reden von der Parteispitze kommuniziert wird. Weder findet eine Analyse der Probleme im Inneren statt noch eine Analyse der äußeren Situation. Keine Notiz zur fortschreitenden globalen Blockbildung, nichts vom Aufgeben einstiger Friedensgrundsätze. Nicht einmal das Wort Kapitalismus ist erwähnt, geschweige denn NATO; keine Aufdeckung von Widersprüchen in der Asylfrage. Zu finden sind Einschwörungen, um zu sagen, wir müssen uns öffnen, wir müssen die Arbeiterschaft erreichen und auch Queere und Migranten. Wir können Listenplätze auch verlosen, vergessen wir die Debatten, die in den eigenen Basisorganisationen bereits passieren.

Es sind viele Worthülsen und von oben herab Kommunikation. Man kann diesen Weg weiter gehen und weiter an Wählergunst verlieren. Man kann aber auch den Diskurs um Marios Candeiras 15 Thesen zum Anlass nehmen, sich wahrhaft mit den neuen inneren und äußeren Gegebenheiten zu beschäftigen, mit linken Ideen darauf zu antworten und sich pluralistisch und kompetent aufzustellen.

Korrekturfahnen für den Frieden – 53 Jahre in der Außerparlamentarischen Opposition

Zum 70. Geburtstag von Elisabeth Alt blicken wir zurück auf ein bewegtes Leben und ehren eine politische Mitstreiterin, die im vergangenen Jahr nach schwerer Krankheit verstorben ist.

Elli Elisabeth Alt war Journalistin durch und durch! Verheiratet war sie nicht – und wenn dann nur mit der außerparlamentarischen Opposition, denn dort wirkte sie seit ihrem 16. Lebensjahr. Geboren am 26.3.1953 und aufgewachsen in Hessen, studierte sie Politik und Russisch im Roten Marburg, arbeitete in Werner Faßbinders Filmcrew, später als Journalistin in München. Im (Un)ruhestand kam sie nach Berlin. Auch hier waren Elisabeth Alt und das Politische untrennbar. Heute hätte sie ihren 70. Geburtstag gefeiert. Wir erinnern uns an sie.

Freundin Tina mit einem Porträt von Elisabeth Alt (Foto: Peter Vlatten)

Elisabeth Alt und das Politische waren untrennbar

Ihr Leben lang engagierte sie sich. „Das Leben von Elli war anstrengend.“ erzählt Freundin Tina bei der Gedenkfeier im Oktober 2022. „Elli stand immer auf der Seite der Entrechteten und Übersehenen. Und Elli stand immer unter Strom. Sie studierte die perfiden Auswüchse des Neoliberalismus und hatte in der luxussanierten Stadt München ihre tägliche Reibung.“

Im konservativen Bayern unter Franz-Josef Strauß war es in den 80igern nicht einfach, den richtigen Job zu finden. Auf Empfehlung vom Arbeitsamt machte Elli Alt sogar eine Sekretariatsausbildung und lernte perfekt tippen und rasend schnell Steno schreiben.

Über mehrere Umwege gelang es ihr schließlich, in der Schlußredaktion des Focus unterzukommen. Nicht unbedingt ihre politische Linie und zudem mit Schichtarbeit. Später redigierte sie für die Vogue.

Elli Alt schaffte den Spagat: tagsüber Maloche für den Lebensunterhalt (wobei ihr das Feilen an perfekten Formulierungen und anspruchsvollen Texten durchaus Spaß machte, #Korrekturfahne), abends und am Wochenende das tun, was wirklich zählt: Lesen, Filme gucken und Freunde treffen.

Das passende Bild aus dieser Zeit zeigt Elli auf ihrem Biedermeiersofa in der Münchner Altbauwohnung, Zigaretten rauchend und telefonierend. Der Austausch mit den Freunden war existentiell und die Leitung meistens besetzt.

Die Themen, die sie beschäftigten: Aufrüstung, Apartheid, Faschismus, Aids, Anti AKW Bewegung und theologische Befreiungstheologie.

Ihre Vorbilder waren Rosa Luxemburg, Che Guevara, Hannah Arendt, Martin Luther King

Auch nach ihrem Umzug nach Berlin fand Elli Alt schnell Anschluss. „Bald war sie gut bekannt mit Bäcker, Schneider und kompetenten Handytechnikern in ihrer Straße. Sie entdeckte die türkischen Restaurants und den afrikanischen Friseur. Sie schloß neue Freundschaften bei Sahra Wagenknechts ‚Aufstehen‘ und arbeitete redaktionell in einer Geschichtswerkstatt zum Roten Wedding mit, ging auf Demos und mischte sich unter die Leute.“ berichtet Tina.

Elli Alt mit Mitstreiterinnen der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ beim S-Bahn-Protest am Bahnhof Gesundbrunnen im August 2020

Selbst als ihre gesundheitlichen Probleme zunahmen, tat sie alles, was ihr möglich war, unsere politische Arbeit unterstützen.“ erinnert sich Maria aus der Gruppe Aufstehen Pankow / Nordost. „Sie versandte Artikel, schrieb Leserbriefe, redigierte Reden und Texte.“

Auch der Austausch zwischen Ost und West war spannend. „Als Ostberlinerin Jahrgang 1977 lernte ich durch Elli einiges über die westdeutsche linke Protest- und Friedensbewegung, über Spartakusgruppen an der Uni Marburg, über Berufsverbote für junge Lehrer durch den Radikalenerlass, über die Sabotage und die Unterwanderung der linken Opposition. Sie hatte immer viele Geschichten im Gepäck.

2021 wurde mit dem Berliner Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ Geschichte geschrieben. Auch Elli Alt hatte einen Anteil daran.

Doch die Freude darüber hielt nicht lang. Corona hatte 2021 schon zu vieles verändert.

Die Coronapandemie und der Umgang mit Kritik haben etwas in ihr kaputt gemacht

Ich denke manchmal, Elli ist am Ende der Atem ausgegangen.“ sagt Tina.

Der politische Umgang mit der Pandemie, das öffentliche Schimpfen auf Nicht-Geimpfte und die bewusst in Kauf genommene Spaltung der Gesellschaft haben etwas in ihr kaputt gemacht.

Elli Alts geliebten Kinos zeigten keine Filme mehr, Kultureinrichtungen machten dicht, Freunde isolierten sich. Und auch die zunehmende Aufrüstung in Europa, die Eiszeit der Beziehungen zu Russland und der Ausbruch des Krieges in der Ukraine machten ihr zu schaffen.

Als wir im September 21 wieder im Wedding spazieren gingen, hatte Elli sich verändert. Sie war dünn geworden und dünnhäutig, konnte nur noch langsam laufen und bekam schwer Luft.

Im Januar 2022 dann die Diagnose Lungenkrebs.

Für Elli Alt war von Anfang an klar: Sie wollte würdevoll sterben. Und sie wollte auch nicht mehr erleben, dass deutsche Waffen wieder Russen töten.

Die Wohnung war ihr Ruhepol

Egal wo, Elli Alts Wohnung war immer ihr Ruhepol, hier konnte sie auftanken.

Dies sollte auch im Lazarushospiz an der Bernauer Straße nicht anders sein, welches sie im Mai 2022 bezog. Es wurde sofort ein Designsofa angeschafft, diesmal in türkis, um Lesen zu können und um mit Freunden und Familie darauf zu sitzen um Abschied zu nehmen.

Das letzte Zimmer wurde ihr Zuhause und von ihr gestaltet: An der Wand ein Gemälde von Freundin Kerstin, eine Fotocollage aus ihrer Jugendzeit und der Konfirmationsspruch ihrer Urgroßtante.

Auf der geliebten Couch im Zimmer im Lazarushospiz im Juni 2022

Elli Alt sagte immer wieder, was für ein Glück es war, das Zimmer im Lazarus Hospiz mit Blick auf eine Ulme und die Reste der Berliner Mauer bekommen zu haben. Die Namen der Pflegekräfte kannte sie alle.

Sie konnte sich bei klarem Verstand von allen ausgiebig verabschieden. Sie hatte die Zeit und die Möglichkeit, bewusst aus dem Leben zu scheiden und sie tat es tapfer.

Am Morgen des 23.8.2022 wurde sie von ihrer schweren Krankheit erlöst.

Elli Alts herzliche Persönlichkeit, ihr Wissensschatz und ihr spitzer Humor werden fehlen

Wir verlieren einen ganz besonderen Menschen. Elis Ehrlichkeit, ihre Direktheit, ihre Radikalität und ihre Hilfsbereitschaft forderten uns.

Elli war nicht pflegeleicht und man riskierte leicht einen Rüffel. Aber gerade durch diese Fähigkeit zur Konfrontation brachte sie uns in Dialog und zum Nachdenken.

Elli schaute nicht weg. Und Eli konnte einen Disput mit Witz und nie vergehendem Humor entschärfen. Humor und Warmherzigkeit trotz Verzweiflung bis zum Schluß.

Elli hat alles gegeben.

Trauerrede von Tina (pdf)

Trauerrede Maria (pdf)

Heizung, Brot & Frieden: Kundgebung – Sa. 17.12. 13:00 – U-Bhf Tierpark

Das Berliner Protestbündnis „Heizung, Brot und Frieden“ veranstaltet am 17.12.2022 ab 13 Uhr eine Kundgebung am U-Bahnhof Tierpark, Berlin-Lichtenberg: Protestieren statt frieren, Verhandlungen statt Sanktionen!

Als Teil es Protestbündnisses „Heizung, Brot und Frieden“ rufen die Aktiven der Gewerkschaftlichen Linke Berlin zum Mitmachen und zur Mobilisierung auf.

Unsere Forderungen:

Lebensmittelpreise und Mieten runter, Löhne und Einkommen rauf / Bundesweiter Mietendeckel und sofortige umfassende Deckelung der Gas- und Strompreise mindestens auf Vorkrisenniveau / Energiewirtschaft in öffentliche Hand, Krisengewinne konsequent und hoch besteuern / Stopp der unsinnigen und selbstzerstörerischen Sanktionspolitik, Stopp dem Wirtschaftskrieg / Keine Hochrüstung der Bundeswehr / Friedensverhandlungen jetzt!

Rednerinnen und Redner:

  • Michaela Wiezorek, Bürgermeisterin von Königswusterhausen
    Sie hat im Auftrag ihrer Stadtverordnetenversammlung einen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz geschickt, in dem dieser aufgefordert wird, „alles zu unterlassen, was diesen Krieg verlängert, und alles dafür zu tun, dass die Waffen schweigen. Sowohl im Waffenkrieg als auch im Wirtschaftskrieg!“
  • Alexander King (DIE LINKE), MdA,
  • Marcus Staiger, Journalist und Buchautor
  • Nancy Larenas, Vorsitzende der Chile-Freundschaftsgesellschaft Salvador Allende
  • Vertreter/innen von DIDF (Förderation Demokratischer Arbeitervereine)
  • Aufstehen Lichtenberg
  • Aufstehen Spandau
  • Aufstehen Tempelhof-Schöneberg

In Deutschland bahnt sich eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe an. Die Preise schießen durch die Decke, aber Löhne und Einkommen halten nicht mit. Die von Bundeswirtschaftsminister Habeck verkündete „Transformation“ führt schon jetzt zur Stilllegung von zahlreichen Betrieben.

Es droht eine weitgehende Deindustrialisierung. Die zusätzliche Abwanderung großer Konzerne in die USA vernichtet Millionen von Arbeitsplätzen. Die geplante zusätzliche Hochrüstung der Bundeswehr verschlingt 100 Mrd. Euro, die im sozialen Bereich fehlen. Das Bürgergeld ist nur ein neuer Name für Hartz IV. Die Eskalation im Ukraine-Konflikt, die von den Waffenlieferungen gefördert wird, hat die reale Gefahr eines Atomkrieges verschärft.

Es ist völlig klar: Die Zeche für Krieg, Sanktionen und Krisen zahlen wir, die Bevölkerung, die einfachen Leute, die Arbeiterinnen und Arbeiter, Handwerkerinnen und Handwerker, Angestellte, Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner, wir kleinen Selbstständigen, Kleingewerbetreibenden, Geflüchteten und Armen. Das machen wir nicht mit!

Die Gasumlage haben wir durch unsere Proteste schon gestoppt. Nun dürfen wir nicht nachlassen! Nazis und Rassismus haben dabei keinen Platz in unseren Reihen. Wir wollen den Herrschenden Dampf machen.
Für einen heißen Herbst und einen noch heißeren Winter – soll sich die Regierung doch warm anziehen!

Vollständiger Aufruf: https://heizung-brot-und-frieden.de/uncategorized/1712lichtenberg/

Veranstaltung auf Facebook:
https://fb.me/e/3tsaeg0H

„Heizung, Brot und Frieden“ auf Twitter:
https://twitter.com/GenugGenug

Wir sehen uns!

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