KRIEGSTÜCHTIG? – OHNE UNS – Widerstand gegen Krieg und Sozialabbau

Jahresauftaktveranstaltung 10.2.2024 Bündnis Heizung, Brot und Frieden

10. Februar 2024, 16.00 – 20.00 Uhr
Mehringhof, Gneisenaustr. 2A, 10961 Berlin, Versammlungsraum in der 2. Etage

KRIEGSTÜCHTIG? – OHNE UNS! Widerstand gegen Krieg und Sozialabbau

Unter diesem Motto startet das Bündnis Heizung, Brot und Frieden am 10. Februar 2024 mit einer Jahresauftaktveranstaltung in das Aktionsjahr 2024. Rerefenten sind Werner Rügemer (Publizist) und Carl Waßmuth (Sprecher von Gemeingut in Bürger*innenhand, GiB). Im Einladungstext und -flyer des Bündnisses heisst es:


“Wir werden gemeinsam mit unseren Referenten Werner Rügemer und Carl Waßmuth zum Thema Aufrüstung, Krieg und Militarisierung und den daraus entstehenden Folgen für die Gesellschaft diskutieren und uns über gemeinsame Positionen und Aktionsmöglichkeiten austauschen und laden euch herzlich dazu ein.

Unsere Referenten:
Werner Rügemer
(Publizist) zum Thema
Kriegshaushalte wegen des Stellvertreterkrieges in der Ukraine – was tun?
Der Ukraine-Krieg und weitere Kriege, an denen sich Deutschland und die EU beteiligen (sollen), sind verbunden mit politischen und sozialen Maßnahmen. Ab jetzt sollen wir es auf unbestimmte Zeit mit Kriegs-Haushalten zu tun haben ebenso wie von US-geführter De-Industrialisierung wie auch Re-Industrialisierung (Intel Magdeburg, TSMC Dresden, Tesla). Doch in der Bevölkerung gärt es: So viele Streiks wie lange nicht mehr (gegen den Reallohnverlust, Personalnot, …), Bauern revoltieren, die Ampel-Regierung auf dem Tiefpunkt ihrer Akzeptanz. Was tun?
Webseite: werner-ruegemer.de

Carl Waßmuth (Bauingenieur, Autor und Infrastrukturexperte, Mitbegründer und Sprecher von Gemeingut in Bürger*innenhand, GiB) zum Thema
Kahlschlag gegen die öffentlichen Daseinsvorsorge – was tun?
Die Privatisierung hat seit den 90er Jahren tiefe Spuren hinterlassen (Bahn, Autobahnen, Post, Wohnen, Wasser, Gesundheitswesen, selbst im Bildungswesen). Die Infrastruktur ist marode: Von den Straßen bis in die Klassenzimmer der Schulen). Die Auslieferung der öffentlichen Daseinsvorsorge an internationale Finanzinvestoren. Doch was passiert nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil in den öffentlichen Haushalten? Was bringt Lauterbachs „Revolution“ des Gesundheitswesen? Wer wehrt sich wo? Was tun?
Webseite: gemeingut.org

Wir sagen Nein zum Krieg – Nein zum sozialen Krieg!
Nein zu Waffenlieferungen, die die ukrainische wie russische Bevölkerung mit immer mehr Toten bezahlen!
Nein zu Sanktionen, die die Bevölkerungen mit Inflation und Reallohnverlust bezahlen!
Nein zu Hunderte Milliarden starken Aufrüstungsprogrammen und Kriegshaushalten!
Nein zur Zerstörung der sozialstaatlichen Errungenschaften!”

Kein Ort, nirgends

Bild: Times of Gaza

Die humanitäre Situation in Gaza ist katastrophal, der Tod allgegenwärtig. Wie ergeht es den medico-Partner:innen?

Von Riad Othman

Im Gegensatz zu den eingeschlossenen Menschen gelangen Bilder noch aus Gaza heraus, trotz tagelanger Signal-Ausfälle. Es sind Bilder des Grauens. Inzwischen muss von über 30.000 Toten ausgegangen werden, wenn wir zurückhaltend Zahlen der unter Trümmern begrabenen Menschen einschließen. Dazu mehr als 60.000 Verletzte und eine nie dagewesene, absichtliche Zerstörung der Lebensgrundlagen von rund 2 Millionen Menschen. 85 Prozent der Bevölkerung sind vertrieben. Wir haben es mit Verbrechen zu tun, die sich mit der Selbstverteidigung Israels längst nicht mehr rechtfertigen lassen.

Um eine Einschätzung möglicher „Kollateralschäden“ durch ihre Angriffsplanung habe sich die Armee in vielen Fällen nicht gekümmert, berichtet das hebräischsprachige Online-Magazins Sicha Mekomit (dt.: Ortsgespräch). Es gebe viele Fälle grober Fahrlässigkeit, wenn nicht gar absichtlicher Angriffe auf zivile Ziele – ohne dass an diesen Orten bewaffnete palästinensische Gruppen präsent gewesen wären.

Das Bild des Leidens in Gaza vervollständigen Zahlen, die alle paar Tage von der Weltgesundheitsorganisation oder Institutionen mit sperrigen Namen wie „Büro der Vereinten Nationen für humanitäre Angelegenheiten“ (OCHA) bekanntgegeben werden. Was aber sagen uns Zahlen und Statistiken? Was bedeuten Begriffe wie Vertreibung, Zerstörung, Hunger, fehlender Zugang zu sauberem Wasser? Wie können wir uns die Menschen hinter den Zahlen und Begriffen vorstellen, die ihr Leben und Sterben beschreiben?

Ein sehendes Auge in Gaza

Mohammed Zaanoun ist Fotograf und ist seit Jahren Teil des progressiven Foto-Kollektivs Active Stills. Darin arbeiten vor allem Palästinenser:innen und jüdische Israelis zusammen, dokumentieren die Besatzung, den Landraub im Westjordanland, die Abriegelung Gazas und die Brutalität israelischer Sicherheitskräfte in Ost-Jerusalem. Aber auch die Protestbewegung gegen den Justizcoup in Israel, Proteste der Schwarzen jüdischen Minderheit gegen Polizeigewalt, Kämpfe um die Rechte von Geflüchteten.

Im Gazastreifen war Mohammed für das Kollektiv viele Jahre ihr Auge, schon während der wochenlangen Massenproteste des „Großen Marschs der Rückkehr“ 2018. Auch medico hat immer wieder Bilder von ihm genutzt. Inzwischen ist er zum zweiten Mal seit Kriegsbeginn am 7. Oktober 2023 vertrieben worden, wie er Mitte Januar in einem Artikel für das israelische Journal +972 schrieb. Mit seiner Frau und ihren vier Kindern ist Mohammed gezwungen, in Rafah auszuharren, nahe der ägyptischen Grenze, eingekeilt zwischen israelischen Truppen im Osten und dem Mittelmeer im Westen. So wie inzwischen eine Million Palästinenser:innen mit ihnen.

„Ich habe Mühe, meine Kinder mit Nahrung und Wasser zu versorgen. Mein 2-jähriger Sohn Kenan verlangt ständig nach Milch, die ich ihm nicht geben kann. Sie sind traumatisiert und reagieren sehr heftig auf das Geräusch von Bomben und Explosionen. Es ist oft schwierig, zu arbeiten, da die Kinder mir nicht erlauben, aus dem Haus zu gehen. Und da sich die israelischen Streitkräfte Berichten zufolge darauf vorbereiten, den Philadelphi-Korridor an der ägyptischen Grenze wieder zu besetzen, könnten wir bald gezwungen sein, erneut zu fliehen. Ich weiß nicht, wohin wir noch gehen könnten.“

Zweimal, so schreibt Zaanoun, hat er seine Kinder nach israelischen Angriffen schon aus den Trümmern retten müssen. Seine Existenz, wie Gaza insgesamt, liegt in Trümmern. Doch immerhin leben Mohammed, seine Frau und ihre Kinder noch.

Kein sicherer Ort

Unseren Partner:innen in Gaza ergeht es nicht besser. Majeda Al-Saqqa von der feministischen Culture & Free Thought Association (CFTA) aus Khan Younis war gezwungen, ihre Familie weiter nach Süden zu bringen. Sicher ist es auch in Rafah oder im Flüchtlingslager Al-Maghazi nicht, aber bis vor kurzem galt es zumindest als etwas weniger unsicher. Hierher geflohen sind auch die Hunderte Menschen, die zuvor bei Majeda, bei Kolleg:innen und in den Zentren der CFTA Zuflucht gesucht hatten. Ihre Situation ist verzweifelt, etwas essen können die meisten von ihnen nur alle zwei Tage, manche seltener. CFTA versucht, sie auch an den neuen Zufluchtsorten weiter zu unterstützen, aber das ist zunehmend schwierig geworden.

Hunderttausenden Menschen drohte schon im Dezember eine Hungersnot. Für große Teile Gazas gelten die höchste und zweithöchste Kategorie im Warnsystem für Ernährungsunsicherheit der Welternährungsorganisation. Unterdessen berichtet Majeda Al-Saqqa, dass sie sich einem operativen Eingriff am Bein unterziehen musste – immerhin nicht in Folge einer Kriegsverletzung, aber dennoch auf dem Boden eines Krankenhauses und ohne Betäubung.

Entführung und Folter

Glück im größten Unglück hatte auch Walid Al-Khalili, der als Fahrer einer mobilen Klinik unserer Partnerorganisation PMRS arbeitet. Im November ist der Vater von drei Kindern im Norden Gazas verschwunden, lange wussten die Kolleg:innen bei PMRS nicht, ob er noch am Leben ist. Erst Wochen später tauchte Walid wieder auf. Laut seinem Überlebensbericht, den er gegenüber dem Palestinian Center for Human Rights in Gaza gab, wurde er während seiner Arbeit und als medizinischer Helfer identifizierbar von der israelischen Armee festgenommen und nach Israel gebracht.

Walid berichtet von schweren Misshandlungen, von Demütigungen und von Folter. Er beschreibt, wie ein Apotheker von einem israelischen Scharfschützen ermordet wurde und wie er zum Zeugen des Todes mehrerer Gefangener in Israel wurde. Gefesselt und mit verbundenen Augen wurde Walid nach 41 Tagen zusammen mit etwa 30 anderen Palästinensern zum Güterübergang nach Gaza in Kerem Shalom gebracht. Am 23. Dezember fand Walid in Rafah zurück zu seiner Familie und seinen Kolleg:innen von PMRS.

Fragliche Zukunft

Zwischenzeitlich haben uns die Mitarbeiter:innen von PMRS darüber informiert, dass zwei Stockwerke des Zentrums zur Behandlung nicht übertragbarer Krankheiten in Gaza-Stadt, das vor allem mit deutschen Steuergeldern aufgebaut worden ist, weitgehend zerstört wurde. Zerstört ist auch das Labor, das PMRS mit medico-Unterstützung und Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung über mehrere Jahre aufgebaut hatte und das einzigartige Diagnosekapazitäten in Gaza bereithielt. Wichtig war das PMRS-Zentrum insbesondere, weil der medizinische Sektor durch die Abriegelung Gazas stark geschwächt war und andere Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten außerhalb Gazas seit bald zwei Jahrzehnten nicht frei zugänglich sind.

Ob PMRS und medico ein solches Zentrum erneut schaffen können, ist derzeit völlig ungewiss. Damit verbunden ist die für Hunderttausende Menschen in Gaza viel drängendere Frage, ob Israel ihnen überhaupt jemals die Rückkehr in den Norden des Gazastreifens gestatten wird. Die Menschen in Gaza haben ein Recht darauf. Doch nur wenn dieses Recht gegenüber Israel durchgesetzt wird, lässt sich überhaupt über eine Zukunft für Gaza sprechen. Doch für eine echte Zukunft braucht es mehr als Wiederaufbau. Zentral ist die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung.

Entnommemn aus dem medico-newsletter:
https://www.medico.de/blog/kein-ort-nirgends-19363

Wir danken für das Publikationsrecht.

Nie wieder, für alle!

Für die Bundesregierung gilt das Völkerrecht offenbar nur noch dann, wenn es eigenen Interessen dienlich ist.

Bild: Nach einem israelischen Luftangriff auf Khan Younis im Gazastreifen. (Foto: Mohammed Zaanoun, Activestills)

Von medico international, veröffentlicht am 18. Januar 2024

Mehr als 100 Tage nach den Angriffen der Hamas und dem Beginn der israelischen Bombardierung von Gaza hat sich die deutsche Öffentlichkeit offenbar an den nächsten Krieg, an das nächste Grauen gewöhnt. Doch die Macht der Gewohnheit ändert nichts an Tatsachen, die kaum noch bestritten werden können: Die deutsche Bundesregierung, wie der Westen insgesamt, beteiligen sich durch politische Rückendeckung, Waffenlieferungen und die Blockade völkerrechtlicher Mechanismen an schwerwiegenden Völker- und Menschenrechtsverbrechen der israelischen Armee in Gaza. Sie machen sich seit über drei Monaten in mehrfacher Hinsicht mitschuldig. Die Rückseite der öffentlich eingeübten militärischen Solidarität mit Israels Regierung ist das Totalversagen deutscher Außenpolitik.

Das hat erhebliche Folgen: Die deutsche Politik und ihre offensichtliche ethische Inkohärenz, die selbst mit dem Wort Doppelstandards nicht mehr angemessen beschrieben werden kann, werden weltweit von Intellektuellen, Regierungen, der Zivilgesellschaft und antikolonialen Bewegungen aufmerksam registriert und scharf kritisiert. Der schon jetzt entstandene Schaden, der nicht nur auf geopolitischer und zwischenstaatlicher Ebene, sondern auch im Alltag von Stiftungen, Kultureinrichtungen und globalen zivilgesellschaftlichen Kooperationen erzeugt wird, ist dramatisch. Die Langzeitfolgen sind unabsehbar. Die westliche Unterstützung für den Krieg gegen eine seit bald zwei Jahrzehnten eingeschlossene Bevölkerung in Gaza, aber auch die autoritären, obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen in Deutschland gegen palästinensische und zunehmend auch linke jüdische Stimmen, markieren einen Einschnitt, dessen historische Dimension schon jetzt nicht mehr bestritten werden kann.

Der jüngste Höhepunkt ist die skandalöse Haltung der Bundesregierung gegenüber dem Verfahren gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Im Friedenspalast, der dem Gericht als Sitz dient, haben die südafrikanische Jurisprudenz und Regierung bereits jetzt Geschichte geschrieben. Vertreter:innen ihres Rechtswesens, ausgestattet mit dem tiefen Wissen um Apartheid und Rassismus, haben vor dem UN-Gericht den Staat Israel wegen des Vorgehens seiner Armee im Gazastreifen angeklagt. Die Rolle Südafrikas ist wegen des formellen Endes der Apartheid vor 30 Jahren in hohem Maße symbolisch: Südafrika verkörpert in der Den Haager Rollenverteilung auch die Hoffnung der Welt auf ein Ende des Rassismus, auf ein Ende kolonialer Bevormundung sowie auf historische Gerechtigkeit und den gemeinsamen Horizont des Menschenrechts schlechthin.

Drei Stunden lang sprachen die Jurist:innen aus, legten dar und zeigten Aufnahmen von dem, was die Welt nicht sehen und so schnell wie möglich vergessen soll: Die Zahl der Toten, die mittlerweile zu einer täglich steigenden und vorhersagbaren Statistik geworden ist. Die Schonungslosigkeit des israelischen Vorgehens gegen Kinder, Alte, Kranke. Die Zerstörung aller Lebensgrundlagen der Bevölkerung. Das gezielte Aushungern und Verdursten lassen. Die Vertreibung von zwei Millionen Menschen, deren Rückkehr angesichts der Zerstörung und zurückgelassener, nicht detonierter Explosivmunition auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte unmöglich erscheint. Israel hingegen verteidigte sich vor dem Gericht so wie auf dem Schlachtfeld. Seine „Sicherheit“ wird definiert über die Aufrechterhaltung totaler Überlegenheit über die palästinensische Bevölkerung. Wann diese Übermacht angesichts der politischen Perspektivlosigkeit in Ohnmacht umschlägt, ist eine Frage der Zeit.

Ein Schlag ins Gesicht des Völkerrechts

Die deutsche Ankündigung, im Fall eines vollumfänglichen Verfahrens zugunsten Israels zu intervenieren, ist ein deutliches Signal an Südafrika, den Internationalen Gerichtshof und an die Welt: Das Völkerrecht liegt entweder in der Deutungshoheit des Westens – oder es darf kein Völkerrecht geben. Damit sind alle Sätze der Bundesregierung über eine werte- und rechtebasierte Außenpolitik nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen. Das zunehmende Glaubwürdigkeits- und Legitimationsproblem eines von vielen als westlich und parteiisch empfundenen internationalen Rechts und seiner Institutionen wird weiter vertieft. So weist die Botschaft weit über den Gaza-Konflikt hinaus: Das Recht soll offenbar nur noch dann gelten, wenn es das Recht des Stärkeren absegnet. Und Deutschland stellt sich auf die Seite des Rechts des Stärkeren und verkleidet dies noch als einen Beitrag zu einem erinnerungspolitisch verkleideten „Nie wieder“. Dieser Widersinn macht die Einsamkeit Deutschlands und großer Teile des Westens in der heutigen multipolaren Welt aus.

Es war zwar ein Zufall, dass das Den Haager Gericht die Anhörung am 120. Jahrestag des Aufstands der Herero im heutigen Namibia begann. Doch stellt sich unmittelbar ein erschütternder Zusammenhang her. In Reaktion auf einen verlustreichen Überfall auf deutsche Siedler:innen durch Herero-Kämpfer am 12. Januar 1904 und in den Tagen danach beging die „Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika“ den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Aus namibischer Sicht legt sich die Geschichte des Herero-Aufstands und seiner Folgen, trotz aller Unterschiede, wie eine Folie auf die grauenvollen Geschehnisse seit dem Hamas-Überfall am 7. Oktober. Die Regierung Namibias kritisierte die deutsche Reaktion entsprechend unmittelbar und scharf.

Die Verbissenheit jedenfalls, mit der die deutsche Politik sich weigert, die an koloniale Geschichte erinnernden Anteile der israelischen Siedlungs- und Unterdrückungspolitik zur Kenntnis zu nehmen, hat unzweifelhaft auch mit der fehlenden Aufarbeitung eigener Verbrechen zu tun. Dabei müsste doch Deutschland im Stammbuch stehen haben: Ein Land, das zwei Völkermorde der modernen Geschichte verantwortet, hat mit äußerstem Ernst und Demut jeden seriös vorgetragenen Vorwurf einer genozidalen Absicht zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen.

Dennoch: Ein Hoffnungsschimmer

Der Auftritt Südafrikas vor dem internationalen Gerichtshof hat jedoch auch ohne Unterstützung Deutschlands gezeigt, dass es eine Alternative gibt. Das ist und bleibt die Kraft des Völker- und Menschenrechts. Dafür wurden nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts Institutionen wie der Internationale Gerichtshof und später der Internationale Strafgerichtshof geschaffen. Sie können mit dem Weltrecht im Rücken ein Ende des Grauens verlangen und Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen. Und zwar für alle, denen das Grauen angetan wird und wurde, auf beiden Seiten der Grenze. Die Region wird nur eine Zukunft haben, wenn die Straflosigkeit beendet und Gerechtigkeit hergestellt wird.

Das zur deutschen Staatsräson erklärte Bekenntnis der politischen Elite zum herrschenden israelischen Sicherheitsverständnis hingegen, das seit jeher auf das Recht des Stärkeren setzt, enthüllt sich als das, was es ist: eine Politik des Zwangs, die keine andere politische, juristische, philosophische oder historische Position zulässt. Von Demokratie ist in dieser Hinsicht nur noch schwer zu reden. Erst recht nicht von Politik, wenn man sie im unbedingten Sinne Hannah Arendts als Entscheidung des kollektiven freien Willens begreift.

Die Gleichgültigkeit der deutschen Politik gegenüber dem Geschehen in Gaza, in dessen Windschatten zusätzlich das Projekt zur weiteren israelischen Besiedlung radikal vorangetrieben wird, macht die Bundesregierung zu einem unglaubwürdigen Akteur in der Region. Niemals wirkte der appellhafte Rückgriff auf die Zwei-Staaten-Lösung so leer wie jetzt. Hinter all den Floskeln bleibt die Absicht kaum verborgen, das ohnmächtige Publikum an Verbrechen zu gewöhnen, die zum Bestandsschutz Deutschlands und des Westens nötig scheinen.

Entnommen aus dem newsletter von medico international
https://www.medico.de/nie-wieder-fuer-alle-19348
 
Wir danken für das Publikationsrecht.

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