Vor einem neuen Handelskrieg

Orginaltitel: (Paradebranche unter Druck II)

Ökonomen warnen vor Strafzöllen gegen chinesische Elektroautos, mit denen nach dem Start einer angekündigten EU-Untersuchung zu rechnen ist: Die härtesten Schäden trügen deutsche Unternehmen davon.

15. 9. 2023

Von German Foreign Politics

BERLIN/BRÜSSEL/BEIJING (Eigener Bericht) – Etwaige EU-Strafzölle gegen Elektroautos aus China, wie sie die EU-Kommission im Blick hat, könnten der deutschen Industrie größere Schäden zufügen als deren chinesischer Konkurrenz. Davor warnen Ökonomen, nachdem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch die Einleitung einer Antisubventionsuntersuchung gegen chinesische E-Fahrzeuge angekündigt hat. Beijing werde Gegenmaßnahmen verhängen, zumal die EU ihrerseits batteriebetriebene Fahrzeuge stark subventioniere, erklärt Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Die Gegenmaßnahmen aber würden besonders deutsche Kfz-Hersteller treffen, die heute umfassend vom Chinageschäft abhängig seien. Felbermayr stuft das EU-Vorhaben als „Bumerang“ ein. Zudem liefe es dem Ziel der Bundesregierung zuwider, die Zahl der E-Fahrzeuge auf deutschen Straßen bis 2030 auf 15 Millionen anzuheben; dieses sei, heißt es in einer aktuellen Analyse, nur mit Hilfe chinesischer Elektroautos zu erreichen, da diese deutlich billiger als deutsche Modelle, also auch für weniger wohlhabende Milieus bezahlbar seien. Grünen-Politiker loben die EU-Maßnahme gegen China dennoch.

Strafzölle wahrscheinlich

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Mittwoch in ihrer diesjährigen State of the Union-Rede mitgeteilt, die Kommission leite eine Antisubventionsuntersuchung gegen Elektrofahrzeuge aus China ein. Der Weltmarkt werde gegenwärtig von „billigeren chinesischen Elektroautos geflutet“, sagte von der Leyen und behauptete, deren Preis werde „künstlich durch gewaltige staatliche Beihilfen niedrig gehalten“: „Das verzerrt unseren Markt.“[1] Man werde jetzt dagegen vorgehen. Das Standardprozedere in derlei Fällen sieht vor, dass die EU nach der offiziellen Einleitung der Antisubventionsuntersuchung in einer Zeitspanne von neun Monaten vorläufige Strafzölle verhängen kann. Die abschließende Entscheidung über dauerhafte Strafzölle muss binnen 13 Monaten gefällt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die EU die Einfuhr von Elektrofahrzeugen aus China auf diesem Wege verteuert, wird als „hoch“ eingeschätzt.[2] Branchenkreise weisen darauf hin, dass die EU-Kommission in jüngerer Zeit in vergleichbaren Fällen Strafzölle in Höhe von 10 bis 20 Prozent verhängt habe.[3] Ein solcher Rahmen sei demnach auch bei ihrem Vorgehen gegen die Einfuhr chinesischer Elektroautos eine realistische Perspektive. Die Strafzölle kämen dann zu den jetzt schon bestehenden Einfuhrzöllen von 10 Prozent hinzu.

Chinas E-Auto-Boom

Chinesische Hersteller von Elektroautos schicken sich zur Zeit in der Tat an, in Europa relevante Marktanteile zu erobern. Ihre Fahrzeuge gelten als qualitativ gut und in puncto IT-Ausstattung als weltweit führend; erst in der vergangenen Woche wurden sie auf der Münchner Automesse IAA von Experten weithin gelobt. Im ersten Quartal 2023 exportierten Chinas Kfz-Hersteller, gestützt ganz überwiegend auf Elektroautos, zum ersten Mal mehr Fahrzeuge (1,07 Millionen) als Konzerne aus Japan (954.000) sowie Deutschland (840.000). Der Marktanteil chinesischer Autos – Verbrenner und E-Modelle zusammengenommen – ist in Europa bereits von 0,1 Prozent im Jahr 2019 auf 2,3 Prozent von Januar bis Juli 2023 gestiegen. Bei Elektroautos allein hat er in der EU laut Angaben der Kommission bereits 8 Prozent erreicht und dürfte, wenn kein Eingriff in den Markt erfolgt, schon in zwei Jahren in einen Bereich von 15 Prozent hineinwachsen, dies mit weiterhin zunehmender Tendenz. In Deutschland können sich mittlerweile laut Umfragen 42 Prozent der potenziellen Käufer vorstellen, ein chinesisches Elektroauto zu erwerben. Dies liegt auch daran, dass chinesische Modelle preisgünstiger sind; Branchenkenner urteilen, sie hätten das Potenzial, sich „in Volumensegmenten unterhalb von 30.000 und 20.000 Euro“ festzusetzen.[4]

Die Berliner Klimaziele

Gerade weil chinesische Elektroautos preisgünstiger sind als deutsche, hängt von ihnen das Erreichen eines Teils der deutschen Klimaziele ab. Zu diesem Ergebnis kam kürzlich in einer aktuellen Untersuchung die Beratungsgesellschaft Deloitte. Demnach werden bis zum Jahr 2030 bei einer Fortschreibung der gegenwärtigen Entwicklung lediglich 11,7 Millionen batteriebetriebene Fahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs sein – erheblich weniger als die 15 Millionen, die die Bundesregierung anstrebt.[5] Hauptursache sei, dass Verbrenner zur Zeit mit einem Durchschnittspreis von 31.000 Euro viel billiger seien als Elektrofahrzeuge mit einem Durchschnittspreis von 42.500 Euro, konstatiert Deloitte. Preisparität sei bei deutschen Herstellern nicht vor 2028 bis 2030 zu erwarten – eindeutig zu spät für die Ziele der Bundesregierung. Den Absatz von Elektroautos steigern könnten nur chinesische Firmen mit ihren kostengünstigeren Fahrzeugen. Allerdings würden deutsche Kfz-Konzerne dann Marktanteile an sie verlieren. Schreibe man die derzeitige Situation in die Zukunft fort, dann könne die deutsche Kfz-Industrie 2030 einen Marktanteil von 46 Prozent halten; chinesische Firmen lägen dann bei 8 Prozent. Gelinge es, mit billigeren E-Autos dem Regierungsziel näher zu kommen, steige der chinesische Anteil allerdings auf 18 Prozent; der Anteil deutscher Hersteller falle dann auf 41 Prozent.

Die Präferenzen der Grünen

In der Abwägung zwischen dem Erreichen der Berliner Klimaziele und dem Bewahren der Marktanteile deutscher Kfz-Konzerne räumt nicht nur die EU-Kommission, sondern auch die Bundesregierung Letzterem Vorrang ein. Er „begrüße“ die Entscheidung der Kommission, erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) am Mittwoch.[6] Auch deutsche Europaabgeordnete zollen von der Leyen Beifall. Sie sei mit der Ankündigung der Kommissionspräsidentin „völlig einverstanden“, teilte Angelika Niebler (CSU) mit; Anna Cavazzini (Bündnis 90/Die Grünen) lobte die bevorstehende Einleitung der Antisubventionsuntersuchung als „bemerkenswert“.[7]

Steine im Glashaus

Warnungen kommen insbesondere von Ökonomen. So weist etwa Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), darauf hin, dass die EU ihrerseits die Elektroautobranche mit hohen Summen fördert; so hat sie im Rahmen eines sogenannten IPCEI (Important Project of Common European Interest) Subventionen für die Batterieherstellung in Höhe von 3,2 Milliarden Euro genehmigt. Felbermayr konstatiert: „Die EU wirft mit einem Stein im Glashaus.“[8] China könne aus gutem Grund Gegenmaßnahmen verhängen – etwa in Form eigener Strafzölle –, die „die europäische Autoindustrie treffen, aber auch andere Bereiche“: „Das ließe das WTO-Recht explizit zu.“ Dabei drohe „die Gefahr einer Spirale“. Für die Bundesrepublik sei „ein eskalierender Handelsstreit … schwer auszuhalten“, zum einen, weil sie „ein Exportland“ und damit anfällig für chinesische Gegenstrafzölle sei, zum anderen, weil deutsche Kfz-Hersteller auch in China produzierten – BMW etwa fertige das Elektromodell iX3 ausschließlich in der Volksrepublik und müsse dann beim Verkauf des Fahrzeugs in Deutschland gleichfalls Strafzölle zahlen. Die EU-Maßnahme sei wohl „als eine Art Konjunkturpolitik“ zugunsten europäischer Kfz-Konzerne gedacht, konstatiert Felbermayr; dies könne aber leicht „zum Bumerang werden“.

Vor dem Handelskrieg

Die Gefahr ist insbesondere für die deutsche Kfz-Industrie groß. Für Volkswagen, Mercedes und BMW ist China der mit Abstand größte Absatzmarkt; dort konnten sie im Jahr 2021 rund 37,2 Prozent (Volkswagen), 32,2 Prozent (Mercedes) bzw. 31,7 Prozent (BMW) ihrer global verkauften Autos veräußern.[9] Der Verband der Automobilindustrie (VDA) mahnt daher, bei der Planung etwaiger EU-Strafzölle müssten „mögliche Gegenreaktionen aus China … berücksichtigt werden“.[10] Solche Gegenreaktionen zeichnen sich in der Tat bereits klar ab. Am gestrigen Donnerstag teilte das chinesische Handelsministerium „große Bedenken“ und „starken Unmut“ über Antisubventionsuntersuchung der EU-Kommission mit und warnte, es werde „die legitimen Rechte und Interessen chinesischer Firmen entschieden schützen“.[11] Damit steht Berlin und der EU nach Stand der Dinge ein neuer Handelskrieg bevor.

[1] 2023 State of the Union Address by President von der Leyen. ec.europa.eu 13.09.2023.
[2], [3] Hendrik Kafsack, Julia Löhr, Tobias Piller, Gustav Theile: EU knöpft sich Chinas E-Autos vor. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.09.2023.
[4] S. dazu Paradebranche unter Druck.
[5] E-Auto-Ziele nur mithilfe Chinas erreichbar. Frankfurter Allgemeine Zeitung 31.08.2023.
[6] Hendrik Kafsack, Julia Löhr, Tobias Piller, Gustav Theile: EU knöpft sich Chinas E-Autos vor. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.09.2023.
[7] Habeck begrüßt Untersuchung zu E-Autos aus China. tagesschau.de 13.09.2023.
[8] Johannes Pennekamp: „Die EU wirft mit einem Stein im Glashaus“. faz.net 14.09.2023.
[9] Dana Heide: Wo Deutschland am abhängigsten von China ist. handelsblatt.com 21.06.2023.
[10] Michael Sauga, Martin Hesse, Simon Hage: Deutsche Autobauer fürchten Chinas Vergeltung. spiegel.de 14.09.2023.
[11] Nicolas Camut: China slams EU over electric vehicle subsidy probe. politico.eu 14.09.2023.

Erstveröffentlicht im newsletter von GFP v. 15.9. 2023
Wir danken für das Abdruckrecht

Europas Standards

15. Nov 2022

Die Kritik an den doppelten Standards Europas bzw. des Westens nimmt weltweit zu – aktuell vor allem mit Blick auf die Klimapolitik und auf den Ukraine-Krieg.

Redaktion “German Foreign Policy”

BERLIN/KAMPALA (Eigener Bericht) – Vor dem Hintergrund der UN-Klimakonferenz in Sharm el Sheikh nimmt die Kritik an den doppelten Standards der westlichen Mächte – auch Deutschlands – weltweit zu. Es gehe nicht an, dass die europäischen Staaten Vorhaben zur Öl- und Gasförderung in Afrika ablehnten, sofern diese wie etwa in der Demokratischen Republik Kongo der Deckung des afrikanischen Eigenbedarfs dienten, dass sie parallel aber gleichartige Vorhaben unterstützten, wenn sie wie etwa im Senegal Europa versorgten, heißt es in einem aktuellen Namensartikel von Yoweri Museveni, dem Präsidenten Ugandas: „Wir werden nicht eine Regel für sie, eine andere aber für uns akzeptieren.“ Identische Kritik an europäischen Versuchen, den Ländern Afrikas eine Abkehr von Öl und Gas zu diktieren, zugleich aber selbst die Nutzung von Kohle als Energieträger wieder zu intensivieren – etwa in Deutschland –, wird schon seit Monaten laut. Zudem wächst die Verachtung dafür, dass der Westen von der Welt Unterstützung im Ukraine-Krieg fordert, zugleich aber Kriege, die seine Interessen nicht tangieren, ignoriert und Flüchtlinge, wenn sie nicht aus der Ukraine kommen, an den EU-Außengrenzen ertrinken oder erfrieren lässt.

Von Recht und Macht

Die Kritik an den doppelten Standards der westlichen Mächte – an sich so alt wie die globale westliche Dominanz – flammt seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs verstärkt auf. Ursache ist, dass die doppelten Standards diesmal allzu grell hervortreten. So kontrastiert die im Westen verbreitete demonstrative Empörung über die Kriegsopfer in der Ukraine scharf mit der ebenso verbreiteten Ignoranz gegenüber Kriegsopfern etwa in afrikanischen Ländern. Denis Mukwege, Friedensnobelpreisträger aus der Demokratischen Republik Kongo, wies im Juni darauf hin, dass der Westen „Milliarden in die Ukraine pumpt“, während er „vor dem Leiden anderswo die Augen verschließt“.[1] Grotesk ist die am Sonntag geäußerte Forderung von Bundeskanzler Olaf Scholz, in der internationalen Politik müsse „das Recht vor der Macht gehen“ [2]; Scholz will dies auf Russlands Überfall auf die Ukraine angewandt wissen, nicht aber auf den NATO-Überfall auf Jugoslawien, den US-Überfall auf den Irak und den britisch-französischen Krieg gegen Libyen, der zu einem NATO-Krieg ausgeweitet wurde. Bitter ist in zahlreichen Ländern Afrikas und Asiens registriert worden, dass in Europa Flüchtlinge aus der Ukraine willkommen geheißen werden, während nichtweiße Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken oder an den EU-Außengrenzen Polens und der baltischen Staaten erfrieren.[3]

Erdgas aus Afrika

Seit dem Frühjahr kommt wachsender Unmut über die doppelten Standards insbesondere europäischer Länder in Sachen Klimaschutz hinzu. Erst im vergangenen Jahr hatten mehrere wohlhabende Industriestaaten angekündigt, ab spätestens 2023 keinerlei Projekte zur Öl- und Gasförderung im Ausland mehr zu finanzieren. Auf dem afrikanischen Kontinent, wo bis heute rund 600 Millionen Menschen nicht über Strom verfügen, rief dies Unmut hervor: Dort gilt der Sprung unmittelbar hin zur Versorgung mit erneuerbaren Energien als unrealistisch und vor allem nicht finanzierbar. Seit die Staaten Europas jedoch alles daran setzen, keinerlei russisches Erdgas mehr zu nutzen – aus politischen Gründen, es geht darum, Russland zu „ruinieren“ (Annalena Baerbock) –, stehen sie Schlange, um Zugriff auf afrikanisches Erdgas für den europäischen Bedarf zu erhalten. Von der Verzichtsankündigung des vergangenen Jahres ist keine Rede mehr (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Die Bundesregierung etwa unterstützt die Förderung von Erdgas vor der Küste des Senegal, um einen Teil der dortigen Vorräte zu erhalten. Italien wiederum hat in den vergangenen Monaten gleich sechs Liefervereinbarungen mit afrikanischen Staaten geschlossen. Zu den Staaten, die Europa beliefern sollen, gehört Mosambik; von dort ist soeben der erste Flüssiggastanker aufgebrochen.[5]

Berggorillas vs. Hunger

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich die europäischen Staaten umstandslos selbst herausnehmen, was sie anderen zu untersagen suchen, lassen sich die Länder Afrikas immer weniger von neuen fossilen Fördervorhaben abbringen. Ein Beispiel bietet die Demokratische Republik Kongo. Dort hat die Regierung im Juli angekündigt, Lizenzen zur Exploration von Öl und Gas im Kongobecken zu vergeben.[6] Das Vorhaben droht klimapolitisch fatale Folgen mit sich zu bringen: Im Kongobecken liegen Torfmoore, die so viel Kohlenstoff speichern, wie zur Zeit in den globalen Emissionen aus fossilen Brennstoffen über drei Jahre enthalten ist.[7] Die Regierung des Kongo weist allerdings darauf hin, dass jeder ihrer Bürger durchschnittlich so viel Kohlendioxidemissionen im Jahr verursacht wie ein Brite in zwei Tagen – und dass die wohlhabenden Industriestaaten es bis heute versäumen, dem Land zum Ausgleich für einen Verzicht auf die Ölförderung finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen.[8] Die in Europa äußerst populäre Argumentation, die Öl- und Gasförderung im Kongobecken müsse dringend unterbleiben, da durch sie einmalige Berggorilla-Populationen gefährdet würden, stößt in dem Land, in dem 60 Millionen Menschen – annähernd zwei Drittel der Bevölkerung – keine 2,15 US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben, nicht wirklich auf Verständnis.

„Moralischer Bankrott“

Aktuell entzündet sich die Kritik an den doppelten Standards vor dem Hintergrund der UN-Klimakonferenz in Sharm el Sheikh. So heißt es etwa in einem Namensbeitrag, den Ugandas Präsident Yoweri Museveni in der vergangenen Woche in dem US-Magazin Newsweek veröffentlicht hat, es könne nicht angehen, dass die Staaten Europas weiter Stimmung gegen Öl- und Gasförderung in Afrika machten, wenn sie – wie im Kongo – dem Eigenbedarf des Kontinents diene, sie aber bejubelten, wenn aus den afrikanischen Quellen die einstigen Kolonialmächte bedient würden. „Wir werden nicht eine Regel für sie, eine andere aber für uns akzeptieren“, schreibt Museveni; es sei ein „moralischer Bankrott“ für die Europäer, wenn sie wirklich erwarteten, „Afrikas fossile Brennstoffe für ihre eigene Energieerzeugung zu nutzen“, ohne zugleich zu billigen, dass die afrikanischen Staaten sie ihrerseits für ihren Bedarf verwendeten.[9] Museveni erinnert zudem an einen aktuellen Fall, der Deutschland mittlerweile zum Gespött der globalen Öffentlichkeit macht: daran, dass die Bundesrepublik zur Zeit Windräder abreißen lässt, um den Abbau von Braunkohle bei dem Ort Lützerath voranzutreiben.[10] Das sei exakt „der verwerfliche doppelte Standard, den zu erwarten wir in Afrika inzwischen gewohnt sind“, schreibt Museveni.

„Inakzeptabel“

Ugandas Präsident weist zudem darauf hin, dass 25 Milliarden US-Dollar pro Jahr laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) wohl ausreichen würden, um in den Staaten Afrikas bis zum Jahr 2030 gut 600 Millionen Menschen aus der Energiearmut zu befreien – „weniger als das, was im Westen in sechs Monaten für Waffen für den Ukraine-Konflikt ausgegeben wurde“.[11] Fast zur gleichen Zeit hat Sri Lankas Präsident Ranil Wickremesinghe darauf hingewiesen, die Regierungen des Westens seien binnen kürzester Zeit in der Lage gewesen, hohe Milliardensummen für den Ukraine-Krieg zu mobilisieren; für den Kampf gegen den Klimawandel aber stellten sie keine entsprechenden Summen bereit. Wickremesinghe urteilt: „Doppelte Standards sind inakzeptabel“.[12]

[1] Barbara Moens: Nobel laureate Mukwege: Ukraine war shows West’s double standards. politico.eu 13.06.2022.

[2] Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz zum Besuch des Bundeskanzlers in der Sozialistischen Republik Vietnam am 13. November 2022 in Hanoi. bundesregierung.de.

[3] S. dazu Flüchtlingssterben im Niemandsland, „Willkommen in Guantanamo!“ und „Willkommen in Guantanamo!“ (II)

[4] S. dazu Nach uns die Sintflut (II).

[5] Mozambique begins LNG exports. energy.economictimes.indiatimes.com 14.11.2022.

[6] Patrick Greenfield: West accused of double standards over oil and gas exploration in DRC. theguardian.com 01.11.2022.

[7] Claudia Bröll: Sisyphusarbeit für das Klima. Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.11.2022.

[8] Karen McVeigh: West accused of ‘climate hypocrisy’ as emissions dwarf those of poor countries. theguardian.com 28.01.2022.

[9] Yoweri K. Museveni: Europe’s Failure to Meet Its Climate Goals Should Not Be Africa’s Problem. newsweek.com 08.11.2022.

[10] Windräder müssen der Braunkohle weichen. spiegel.de 24.10.2022.

[11] Yoweri K. Museveni: Europe’s Failure to Meet Its Climate Goals Should Not Be Africa’s Problem. newsweek.com 08.11.2022.

[12] Tax oil firms to pay for climate damage, island nations say. aljazeera.com 08.11.2022.

Erstveröffentlichung in “German Foreign Policy, 15.11. 2022
https://www.german-foreign-policy.com/

Wir danken für das Recht auf Veröffentlichung.

„Wirtschaftskrieg“, darf man nicht sagen!

Verbietet es sich für LINKE nach dem militärischen Überfall Russlands auf die Ukraine und den folgenden Sanktionen, hauptsächlich der NATO Staaten, von einem Wirtschaftskrieg zu sprechen?

In diesem Handelskrieg wird mittels Sanktionen gegen geltende Verträge mit Russland durch Nichtlieferungen von z.B. elektronischen Komponenten verstoßen. Dazu gehören auch Finanzkontrollen, Einfrieren von Vermögen, Aussetzen von Entwicklungshilfe, Abbruch der diplomatischen Beziehungen und gezielte Sanktionen gegen einzelne Personen. Die Reaktion Russlands erfolgt in gleicher Form durch z.B. Einstellung der Gaslieferungen. Aber kann man da von einem Krieg sprechen?

Was ist eigentlich ein Krieg?

Eine Auseinandersetzung mit dem Ziel zu siegen, den anderen zu erniedrigen, sich dessen Eigentum anzueignen und sich Vorteile zu verschaffen. Krieg ist ursprünglich männlich. Der eine erschlägt den anderen, die Spanier bemächtigen sich vor 530 Jahren der „neue Welt“ und bringen in Amerika mehr Menschen durch ihre ansteckenden Krankheiten als durch Waffengewalt um. Das ist sozusagen der erste biologische Krieg. Vor 77 Jahren wurden erste Atombomben durch die USA gezündet, der erste Atomkrieg. Heute dominieren Cyberkriege, die volkswirtschaftlich große Schäden anstellen können. Und zu guter Letzt gibt es den Klimakrieg, wobei durch das rücksichtslose Wirtschaften der reichen Industriestaaten anderen Staaten die Lebensgrundlagen beraubt werden.

Wenn das Sanktionsziel ist Russland zu ruinieren (Annalena Baerbock), kann man sehr wohl von einem Wirtschaftskrieg reden.

Wie wirkungsvoll sind Wirtschaftskriege?

Immer wieder – verlangen vor allen Dingen die USA – in der UN abgestimmte Sanktionen gegenüber Staaten wie Jugoslawien, Irak, Iran, Syrien, Weißrussland und jetzt Russland. Diese sollen dazu gezwungen werden, sich -das Völkerrecht vorgeschoben – an die nach Gutdünken regelbasierte Ordnung des Westens zu halten (So wurde der Irak unter Saddam Hussien zunächst mit Waffen im Krieg gegen den Iran vollgepumpt, dann mit Sanktionen belegt und schließlich mit zwei Kriegen überzogen, die das Land bis heute in einen Scherbenhaufen zerlegten).

Solange es Staaten sind, die nicht auf Augenhöhe mit Gegenmaßnahmen antworten können, entsteht diesen großer wirtschaftlicher Schaden. Aber häufig werden die Ziele der Sanktionen trotzdem nicht erreicht, und intern werden diese Staaten noch geschlossener und autoritärer.

Wie wirkt sich der Wirtschaftskrieg gegen Russland aus?

Nicht wie erhofft, denn Russland wird zwar innerstaatlich etwas destabilisiert und geschwächt, aber viele Staaten machen aus unterschiedlichen Gründen bei dem Wirtschaftskrieg nicht mit. Es sind hauptsächlich Staaten, die sich nicht der Macht der USA unterwerfen wollen und ohne Energielieferungen und Düngemittel aus Russland große Probleme hätten. Interessanterweise wird Japan und sogar die Ukraine mit russischem Gas beliefert!

Jedoch wirkt sich die russische Antwort durch die Einstellung der Erdgaslieferung katastrophal auf die EU- und insbesondere deutsche Wirtschaft aus. Dazu zwei Berichte im ARD FAKT: Umstrittene Sanktionen gegen Russland und Droht Deutschland eine Deindustrialisierung? Sollte die deutsche Wirtschaft und Bevölkerung nachhaltig geschwächt werden, dann kann man sich fragen, wer den Wiederaufbau der Ukraine bezahlen soll?

Das können nur die USA sein, die vom Wirtschaftskrieg kaum beeinträchtigt ist. Im Gegenteil machen sie z.B. mit einer einzigen Flüssigkeitsgaslieferung einen Gewinn von ca. 200 Mio. Dollar. Auch Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin bekommen volle Auftragsbücher, denn das Testfeld Ukraine zeigt, das amerikanische Artilleriesystem HIMARS ist besonders wirkungsvoll.

Diplomatie, ein Ausweg für den Frieden

Wie es so aussieht, könnte es ein langer Krieg werden. Die Teilmobilmachung Russlands und wieder 3 Mrd. US Dollar der USA für Waffen, deuten das an. Auch die Verschärfung des Wirtschaftskriegs wird „unsere“ Wirtschaft noch mehr schwächen.

Die LINKE ist bei den Ideen Richtung Frieden gespalten, aber geschlossen bei den Forderungen zur Abfederung der Folgen der Energiekrise. Aber es gibt auch Politiker, die für Diplomatie anstatt Krieg eintreten, überraschenderweise sogar bei der CDU. Norbert Röttgen meinte am 19.9. in Phoenix unter den Linden, die Basis für Verhandlungen sind die Grenzen vor dem 24.2.2022. Auch die Krim sieht er als erledigt an.

Gesichtswahrend wäre es, die Ukraine verzichtet auf die Krim, denn 1990 hatte die Bevölkerung bereits für den Verbleib bei Russland gestimmt. Die russische Armee zieht sich auf das Gebiet der Oblasten Donezk und Luhansk zurück. Es wird über den Umgang der russischen Bevölkerung in den von Russland besetzen Gebieten Verhandlungen aufgenommen, ggf. Volksabstimmungen unter UN Aufsicht durchgeführt. Russland liefert wieder Erdgas für unsere Energiesicherheit und im Gegenzug werden in Abstimmung mit Russland einige Sanktionen ausgesetzt.

28.09.2022 Klaus Murawski (Arbeitskreis Internationalismus IG Metll Berlin, RentenZukunft, ehemals Betriebsrat bei OTIS und VK Leiter)

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