Filmveranstaltung „Discount workers“

Die AG Gerechter Welthandel von Attac Berlin lädt herzlich ein zur Vorführung des Films

Discount workers https://attacberlin.de/news/discount-workers-film

Dokumentarfilm 2020: Pakistan, Deutschland
Regie: Ammar Aziz, Christopher Patz
mit anschließender Podiumsdiskussion (s.u.)

Datum: Montag, den 16.10.2023, 19:00 – 21:00 Uhr
Ort: Regenbogenkino, Lausitzer Str. 22, 10999 Berlin-Kreuzberg

Am 11. September 2012 starben bei einem Brand in der Textilfabrik Ali Enterprises in Pakistan 258 Menschen. Europäische Textilfirmen, so auch KiK, hatten nicht dafür gesorgt, dass dort, wo ihre Waren hergestellt werden, zumindest die grundlegendsten Brandschutz- und Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden. Profite vor Menschenrechte? Wir schauen kurz auf, sind empört und dennoch ist das Thema zumeist recht schnell wieder aus den Schlagzeilen verschwunden.

Der Film begleitet Saeeda Khatoons, die ihren Sohn durch dem Fabrikbrand verloren hat, bei ihrem bewunderstwerten Kampf für mehr Gerechtigkeit und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Doch leider ist es in der Regel fast aussichtslos, gegen entsprechende Firmen vorzugehen.
Dies soll sich nun endlich durch das EU-Lieferkettengesetz ändern, wobei derzeit innerhalb des Ratifizierungsprozesses der sogenannte Trilog zwischen EU-Rat, Parlament und Kommission stattfindet. Dabei existieren Kräfte, die sich für starke Regeln einsetzen, aber auch solche, die das ganze Vorhaben möglichst weit verwässern wollen. Welche setzen sich durch und welche Rolle kommt in dieser wichtigen Phase der Zivilgesellschaft zu?

Darüber wollen wir im Anschluss diskutieren mit:

Artemisa Ljarja, Koordinatorin bei der Clean Clothes Campaign Deutschland / Kampagne für saubere Kleidung und u.a.
Ansprechpartnerin für den Fall „Ali Enterprises“, Referentin für die Initiative Lieferkettengesetz

Karola Knuth, Bundesvorstand Bundjugend, Schwerpunkte: Internationale Klimapolitik, Klimagerechtigkeit, EU Lieferkettengesetz

Wolfgang Strengmann-Kuhn, MdB für B90/Die Grünen, Obmann im Ausschuss für Arbeit und Soziales und thematisch zuständig
für das EU-Lieferkettengesetz innerhalb der grünen Fraktion

Zeit für Eure Fragen wird auch sein.

Moderation: Frank Steudel, Attac Berlin, AG Gerechter Welthandel

Die Ukraine will kämpfen bis zum „Tod des russischen Imperiums“

Von Guido Biland

Am 25. September 2023 ist im Schweizer »Tages-Anzeiger« ein aufschlussreiches Interview mit dem ukrainischen Präsidentenberater Olexi Danilow erschienen. Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates macht mit seinen Aussagen klar, dass der russische Präsident Wladimir Putin keine andere Wahl hat, als die Ukraine mit der aktuellen Regierung zu neutralisieren. Dabei könnten auch die westlichen Sponsoren des Krieges erheblichen Schaden nehmen.

Gibt es eine Rechtfertigung für den »brutalen und unprovozierten Angriffskrieg« der Russischen Föderation gegen die Ukraine? Die einhellige Antwort in der transatlantischen Echokammer lautet: »Nein!« In der monotonen und plakativen Erzählung der NATO-Welt ist der russische Präsident Wladimir Putin ein imperialistischer Aggressor, der verlorene UdSSR-Territorien zurückerobern will und bereit ist, dafür über Berge von Leichen zu gehen.

Für die NATO-Welt ist Putin mindestens gleich schlimm, wenn nicht schlimmer als Adolf Hitler und andere Kriegsverbrecher mit wahnhaften imperialen Ambitionen. Vom friedlichen Geschäftspartner irreversibel zum blutrünstigen Kreml-Monster mutiert, gilt der Kreml-Herrscher als ultimativer Zerstörer der regelbasierten Ordnung und des Weltfriedens. Mit dieser zweckdienlichen Begründung kann es die NATO-Welt auch komfortabel ablehnen, auf Russlands Sicherheitsinteressen Rücksicht zu nehmen und mit dem Kreml über einen Waffenstillstand zu verhandeln.

Danilow und wie er die Welt sieht

Noch findet der Krieg auf NATO-externem Territorium statt. Wenn man die jüngsten Äußerungen Olexi Danilows in der Schweizer Tageszeitung »Tages-Anzeiger« zum Nennwert nimmt, muss man sich darauf einstellen, dass das nicht mehr lange so bleibt. Die Ukraine hat ihre Verteidigungsstrategie offenkundig aufgegeben und verfolgt nun eine regelrechte Vernichtungsstrategie gegen die Russische Föderation. Um jedes Missverständnis auszuräumen, sollen hier einige seiner Aussagen im vollen Wortlaut zitiert werden.

Zum unmittelbaren Kriegsziel äussert sich Olexi Danilow wie folgt: »Wir müssen unser Hauptziel erreichen, unsere besetzten Territorien zu befreien und den Krieg zu gewinnen. Wer glaubt, dies sei ein Krieg nur zwischen der Ukraine und Russland, der irrt sich gründlich. Dieser Krieg verändert alles, nach ihm werden wir ebenso in einer anderen Welt leben wie nach dem Zweiten Weltkrieg oder nach dem Kalten Krieg.«

Und weiter: »Wir werden auf jeden Fall alles befreien. Alle Versuche der Russen, sich die Krim einzuverleiben, sind vergeblich. Die Krim wird ukrainisch sein. Und in Sewastopol wird die ukrainische Schwarzmeerflotte als Mitglied eines Nato-Landes stationiert sein. Es ist nur eine Frage der Zeit.«

Sehr deutlich wird Danilow auch beim mittelbaren Kriegsziel: »Es gibt im Westen noch keine einheitliche Haltung, wie mit Russland umzugehen ist. Erst wenn das der Fall ist, kommen wir weiter. Einige glauben immer noch, man könne Russland in seiner heutigen Form bestehen lassen. Diese Leute verstehen nicht, dass es eine Zeit der Geburt, des Lebens und des Sterbens gibt. Jetzt ist die Zeit für den Tod des russischen Imperiums gekommen. In Russland sehen wir schon die Vorzeichen dafür. Russland wird fragmentiert sein und nicht in seinen heutigen Grenzen fortbestehen. Dieser Prozess ist unaufhaltsam, so wie es die deutsche Wiedervereinigung war oder der Kollaps der Sowjetunion.«

Friedensverhandlungen mit dem amtierenden russischen Präsidenten schließt Danilow kategorisch aus: »Putin ist der Mörder unserer Mitbürger, unserer Kinder. Wir haben im Sicherheitsrat formell beschlossen, niemals mit ihm zu verhandeln.«

Und doppelt nach: »Wir werden nicht mit Putin verhandeln. Sein Platz ist vor Gericht, nicht am Verhandlungstisch. Er ist ein moderner Hitler. Und er wird das gleiche Ende nehmen wie Hitler. Oder er wird durch ein Mitglied seines engsten Kreises ersetzt, der genauso ein Bastard ist wie Putin.«

Fazit: Doch, es gibt eine Rechtfertigung für den russischen Waffengang

Fassen wir die offizielle ukrainische Position in den Worten Danilows zusammen:

  • »Wer glaubt, dies sei ein Krieg nur zwischen der Ukraine und Russland, der irrt sich gründlich. Dieser Krieg verändert alles.«
  • »Jetzt ist die Zeit für den Tod des russischen Imperiums gekommen. Russland wird fragmentiert sein und nicht in seinen heutigen Grenzen fortbestehen.«
  • »Die Krim wird ukrainisch sein. Und in Sewastopol wird die ukrainische Schwarzmeerflotte als Mitglied eines Nato-Landes stationiert sein.«
  • »Wir werden nicht mit Putin verhandeln. Sein Platz ist vor Gericht, nicht am Verhandlungstisch. Er ist ein moderner Hitler.«

Das offizielle Kriegsziel der Ukraine (und damit des kollektiven Westens) ist also der Kollaps der Russischen Föderation mit anschließender Fragmentierung.

Das ist genau das, was die russische Führung seit geraumer Zeit immer wieder besorgt konstatiert. Wenn es Putin konstatiert, ist es russische Propaganda. Wenn es Danilow konstatiert, ist es ein legitimes Kriegsziel.

Was immer man von Putin halten mag: Danilows Aussagen belegen eindeutig, dass Putin die Lage richtig einschätzt und keine andere Wahl hat, als die Ukraine zu neutralisieren. Die Ukraine in ihrer heutigen Form mitsamt ihrer bedingungslosen und unlimitierten Unterstützung der NATO-Welt ist ohne jeden Zweifel eine fundamentale Bedrohung für die Russische Föderation. Jeder Staat würde sich gegen die Vernichtungsstrategie eines feindlichen Militärbündnisses dieser Größenordnung mit allen verfügbaren Mitteln verteidigen.

Nein, Putin ist gewiss kein Gutmensch. Das gilt für alle Staatsoberhäupter. Wie jedes Staatsoberhaupt macht er einfach seinen Job – in diesem Fall als rational denkender Präsident einer existenziell bedrohten Nation. Er vermeidet emotionale Reaktionen, sichert den Landkorridor zur Krim und insistiert verständlicherweise darauf, dass die feindliche NATO – wie seit langem geplant – nicht auch noch das Schwarze Meer erobert. Wahrscheinlich rechnet er damit, dass der NATO-Welt irgendwann die harmonische Lust auf Krieg und Zerstörung vergeht und der ausgebluteten Ukraine nichts anderes übrigbleibt, als sich zur Neutralität zu bekennen. Die NATO-Welt wäre gut beraten, im Kreml kein verheerenderes Kalkül zu provozieren. Leider lässt sie sich längst nicht mehr von der Vernunft und dem Überlebensinstinkt leiten, sondern nur noch vom vulgär-russophoben Reflex, den Tod des russischen Imperiums herbeizuführen. Das lässt Schlimmes befürchten.

Die Ukraine ist nicht nur Opfer

Danke, Herr Danilow, für die unfreiwillige Rehabilitierung Wladimir Putins.

PS: Im Narrativ der NATO-Welt wird die Ukraine nur als Opfer dargestellt. Diese Darstellung ist faktisch nicht haltbar. Die Ukraine ist nicht nur Opfer. Die Regierung hätte es in der Hand gehabt, den Krieg gegen die eigenen Bürger zu beenden und ein gutes Einvernehmen mit dem russischen Nachbarn zu suchen, z.B. durch Abbau der antirussischen Feindseligkeiten, Verzicht auf das NATO-Beitrittsgesuch und ein wenig mehr Distanz zu den westlichen Sponsoren. Die Souveränität der Ukraine wäre heute unbestritten und intakt. Die ukrainische Regierung hat – aus welchen Gründen auch immer – alles unternommen, um den Konflikt mit Russland zu eskalieren. Niemand hat sie dazu gezwungen.

Das Ergebnis ist der totale Verlust der ukrainischen Souveränität. Was genau versteht diese Regierung unter Patriotismus? Ein entvölkertes Land in Ruinen? Wer sich mit den Russen anlegt, bekommt aus Moskau keine Blumen und Pralinen geschickt. Schon gar nicht, wenn er sich mit dem größten antirussischen Militärbündnis der Welt verbündet. Das war der ukrainischen Regierung mit Sicherheit bewusst. Trotzdem hat sie auf deeskalierende Maßnahmen verzichtet. Agiert so eine verantwortungsvolle und friedliebende Regierung? Fakt ist: Kiew hat eine militärische Konfrontation in Kauf genommen. Wer sich mit einer offenkundig provokativen und feindseligen Politik als Opfer der Aggression und Freiheitskämpfer der zivilisierten Welt inszeniert, wirkt bestenfalls melodramatisch. Auf keinen Fall glaubwürdig.

Erstveröffentlicht im overton Magazin v. 28.9.2023
https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/die-ukraine-will-kaempfen-bis-zum-tod-des-russischen-imperiums/

Wir danken für das Abdruckrecht.

Vier für den Frieden

Vor einigen Tagen präsentierten drei Professoren und ein General einen Vorschlag für einen Verhandlungsfrieden in der Berliner Zeitung. Er verdient mindestens Beachtung.

Bild: kpoe

Von Roberto De Lapuente

Am 9. September veröffentlichte die Berliner Zeitung (BZ) einen Gastbeitrag der Herren Peter Brandt, Hajo Funke, Horst Teltschik und Harald Kujat. Darin beschreiben sie, wie der Krieg mit einem Verhandlungsfrieden zu beenden wäre – mitsamt der dringenden Empfehlung, dem Vorschlag Taten folgen zu lassen.

Etwas mehr als zwei Wochen später äußerte sich der Historiker und einstige Brigadegeneral Klaus Wittmann in ebendieser BZ zu Wort: Ein Verhandlungsfrieden hätte fatale Folgen, findet er. Und so leitet er seine Erwiderung: »An diesem völlig empathielosen Beitrag ist besonders auffällig, wie General a.D. Kujat, der seit Beginn der russischen Offensive gegen die Ukraine noch mit jeder Prognose danebenlag, jetzt mit professoraler Unterstützung apodiktisch behauptet, die Ukraine könne diesen Krieg nicht gewinnen.«

Mit wem spricht der Brigadegeneral a.D.?

Es ist ja an sich begrüßenswert, wenn Tageszeitungen Pluralität walten lassen. Warum es zwangsläufig richtig sein sollte, dass ein Medium eine klare Positionierung zu bestimmten Themen haben, davon auch nicht abweichen sollte, erschließt sich nicht. Wenn ein Medium seine Chronistenpflicht ernstnimmt, muss es die verschiedenen Ansichten und Meinungen des Alltages erfassen: Und demgemäß Für und Wider, Pro und Contra, Schwarz und Weiß zulassen – und abbilden.

Bei Wittmanns Erwiderung stellt sich allerdings schon die Frage, ob nicht oder wenig recherchierte Artikel notwendig wären. Zumal dann, wenn die unmittelbar mit einem persönlichen Angriff einleiten, der dann auch noch als Beleg für die eigenen eher mauen Thesen gelten soll –  Thesen, die vom Schreibtisch aus ersonnen, doch sicher nicht mehr Wirklichkeitsbezug aufweisen können, als jene Stimmen, die die Szenerie kennen. Es ist wahrlich mühsam, jetzt nochmal Seymour Hersh zu zitieren. Aber er hat sich seine Einschätzung, wonach the war over ist, ja nicht aus den Fingern gesogen. Ihm flüstern Insider zu, Whistleblower, Menschen aus dem Geheimdienstapparat der Vereinigten Staaten und aus militärischen Kreisen. Spricht Wittmann mit denselben Leuten?

Ganz offenbar nicht, sonst hätte er es nicht nötig, direkt mit der vermeintlichen Empathielosigkeit der vier Herren anzufangen. Ist es das, was Wittmann – und mit ihm viele andere, die das Geschehen mit kriegerischen Entschlossenheit kommentierend begleiten – stört? Weil die Vorschlagenden nicht nett genug sind, könne man ihnen nicht folgen? Geht freundliche Ansprache vor Inhalt?

Ein mehr als interessanter Vorschlag

Was Wittmann ganz offenbar wie viele andere nicht begreift: Empathie ist kein geopolitischer Wert – Moralismus ist keine Diplomatie. Da kann die Außenministerin erzählen, was sie mag: Es geht immer um Interessen – nur um Interessen. Man mag das schlecht finden, aber es ist schlicht die Realität. Andererseits ist es so, dass in einer sachlichen, betont nicht gefühligen Ansprache sehr viel Moral und Empathie stecken kann. Brandt, Funke, Teltschik und Kujat fordern ja immerhin nicht weniger als Verhandlungen, die zu einem Ende des Waffenganges, einem Ende des Tötens kommen sollen.

Geht mehr Empathie eigentlich? Will jener Klaus Wittmann seinen Lesern wirklich vermitteln, dass jene, die Waffenlieferungen fordern, die empathischeren Menschen im Lande sind? Krieg ist Frieden, Freiheit Sklaverei und – was hier besonders zutrifft – Unwissenheit Stärke.

Die Linien von Wittmanns danach folgenden Einwänden sind kaum noch satisfaktionsfähig. Es geht um Durchhalten, darum Putin zu strafen – was, wenn das Schule macht? Was aber, wenn das linkische Heranrücken eines Militärbündnisses an die Grenzen sich sorgender Nationen Schule macht?

Interessanter und ergiebiger erscheint es, sich für einen Augenblick mit dem Vorschlag für einen Verhandlungsfrieden zu befassen. Die Vorschlagenden holen alle »mittelbar Beteiligten« an Bord. Insbesondere der Bundesrepublik legen sie nahe, alles Nötige zu tun, um zu verhandeln. Denn: »durch das Friedensgebot des Grundgesetzes [sei Deutschland] sogar besonders verpflichtet«. Sie verweisen außerdem auf eine UN-Resolution vom 2. März 2022, der die Bundesregierung zugestimmt hat. Inhalt: Die »friedliche Beilegung des Konfliktes zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel«. Erinnert sich noch jemand daran?

Verhandlung heißt nicht Unterwerfung

Auch für die vier Herren scheint klar, dass die Ukraine diesen Konflikt nicht für sich entscheiden kann. Hält man die Ukraine aber im Kriegsmodus, wird es zwangsläufig, dass sie »fordern wird, westliche Soldaten sollen westlichen Waffen folgen«. Auch Russland wird den Krieg nicht gewinnen, weil gilt, was wir in der Nachkriegszeit schon mal scheinbar begriffen hatten: Einen Krieg gewinnt niemand. Lassen wir die Profiteure aus der Wirtschaft mal heraus – normale Menschen verlieren immer. Je ärmer sie sind, desto höher der Verlust.

Eine solche Entwicklung können wir nicht abwarten wollen, folgern sie. Ein sich hinziehender Krieg in Osteuropa sei gewissermaßen das Damoklesschwert über dem Kopfe des gesamten Kontinents.

Daher heißt es verhandeln. Aber kann man das mit Putin? Dieser Frage gehen sie nach. Brandt, Funke, Teltschik und Kujat entkräften zunächst, dass er imperiale Ansprüche hat, wie es oft in der westlichen Debatte heißt. Putin habe sich oft gegen die Rückkehr der UdSSR ausgesprochen. Immer wieder Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Einer afrikanischen Friedensdelegation sagte er im Juni dieses Jahres zum Beispiel: »Wir sind offen für einen konstruktiven Dialog mit allen, die Frieden wollen, der auf den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Berücksichtigung der legitimen Interessen der unterschiedlichen Seiten beruht.«

Das ist die Krux. Verhandeln bedeutet, auch die Interessen Russlands zu wahren – oder endlich zu beachten. Es ist mit einem indirekten Schuldeingeständnis des Westens und der NATO verbunden. Der Westen kann keine Unterwerfung erwarten. Russland freilich auch nicht.

Ein Zeitdokument der Zeitenwende

Die Vorschlagenden listen in der Folge die Positionen der Beteiligten auf. Da der ukrainische Präsident per Dekret Verhandlungen verboten und von beiden Seiten unrealisierbare Forderungen gestellt wurden, empfehlen sie, »dass zunächst alle Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen fallengelassen werden.« Dem chinesischen Positionspapier attestieren sie »einen vernünftigen Ansatz«.

Danach präsentieren die vier Stimmen für den Verhandlungsfrieden drei Phasen: Zuerst Waffenstillstand, dann Friedensverhandlungen – und zu guter Letzt geht es um nicht weniger als eine europäische Sicherheits- und Friedensordnung. Detailliert beschreiben sie die einzelnen Schritte, die notwendig sind, um diesen Krieg endgültig zu beenden. Es ist ein Katalog des Aufeinanderzugehens, des Gebens und des Nehmens.

Mit gelebten Ressentiments wird dieser Wahnsinn nicht verschwinden, sondern ihn nur verstetigen. Wer Verhandlungen an die Bestrafung des russischen Präsidenten knüpft, tut alles dafür, dass niemals verhandelt wird. Was die vier genannten Herren hier vorgelegt haben, ist das, was das deutsche Außenministerium in seinem Eifer der Arbeitsverweigerung unterlässt – eigentlich wäre es die Aufgabe der Außenministerin, sich solcherlei Gedanken zu machen. Aber in dieser aus dem Ruder geratenen Republik, die den Krieg parteipolitisch greenwasht, wie man heute sagt, übernehmen das Gastbeiträge schon betagterer Herren in der BZ. Diplomatie auf Zeitungspapier.

Dass die BZ Klaus Wittmann daran deuteln lässt, spricht für ihre Offenheit – und ist ja auch lehrreich. Denn Wittmann zeigt auf, woran es in dieser Republik mangelt: An der Einsicht, dass dieser Krieg ganz Europa nachhaltig, ja über Jahrzehnte massiv schaden kann. Diese Blindheit führt uns in den Abgrund. Wittmanns Einwand ist insofern ein trauriges Zeitdokument dieser Zeitenwende, die kaum perspektivisch zu denken vermag.

Erstveröffentlicht im overton Magazin am 28.9.2023
https://overton-magazin.de/kommentar/politik-kommentar/vier-fuer-den-frieden/

Wir danken für das Abdruckrecht.

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