Konferenz
Am Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerer trafen sich Pazifistinnen und Pazifisten aus der Ukraine, Russland und Belarus in Berlin. Sie forderten den Schutz der Kriegs- und Militärdienstverweigerer aller Länder
Von Peter Nowak
„Ich habe drei Kinder, drei Hunde und sieben Hamster“. So bescheiden stellte sich Olga Karach in Berlin vor. Doch die freundliche Frau wird vom belarussischen Geheimdiensten und vom Minsker Machthaber Alexander Lukaschenko als Terroristin bezeichnet. Ihre Heimat musste sie verlassen. Sie lebt mittlerweile in Vilnius. Denn Olga Karach ist aktiv in der zivilgesellschaftlichen belarussischen Organisation Nash Dom (Unser Haus).
Unter der Parole „Keine zweite Front“ ruft sie die Wehrpflichtigen im Land auf, alles zu tun, damit Belarus nicht weiter in den Krieg gegen die Ukraine hineingezogen wird. Sie sollen den Kriegsdienst verweigern. „Wir wollen keine Kriegspartei unterstützen und sind überzeugt, dass nur der Frieden und Verständigung den Menschen hilft“, bekräftigte Karach ihre pazifistische Position. Damit ist sie sich einig mit Yurii Sheliazhenko von der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung, der am 15. Mai, dem Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung, per Livestream aus Kiew zugeschaltet war, weil Männern zwischen 18 und 60 Jahren die Ausreise nicht erlaubt ist.
Abrüstung statt Waffen
„Was wir brauchen, ist keine Eskalation des Konflikts mit mehr Waffen, mehr Sanktionen, mehr Hass auf Russland und China, stattdessen umfassende Abrüstung auf allen Seiten“, bekräftigte der Sozialwissenschaftler seine Absage an eine militärische Verteidigung. Damit ist er und seine kleine Gruppe von Pazifistinnen und Pazifisten gegenwärtig in der Ukraine sehr isoliert. „Es ist nicht leicht, Pazifist zu sein in einem Land, das sich im Krieg befindet“, beschreibt er die schwierige Lage der konsequenten ukrainischen Kriegsgegner*innen. Schließlich geißelt er nicht nur die russischen Bombenangriffe, bei denen jeden Tag Zivilist*innen sterben. Sheliazhenko erinnert auch daran, dass auch im Donbas Zivilist*innen sterben, wenn sie von der ukrainischen Armee bombardiert werden. „Die Waffen müssen auf allen Seiten schweigen“, bekräftigte er.
Damit wiederum ist er sich mit Maria A. von der Bewegung der Kriegsdienstverweigerer in Russland einig. Die Frau absolviert mittlerweile ein Auslandsstudium in Edinburgh in Schottland. Doch zum Schutz ihrer Verwandten, die noch in Russland leben, will die russische Kriegsgegnerin ihren vollständigen Namen nicht in den Medien lesen.
Echter Schutz
Die Podiumsdiskussion der drei Pazifist*innen am Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung ist Teil einer Kampagne, die das pazifistische Netzwerk War Resisters International vorantreibt. „Ein echter Schutz für alle Menschen, die sich dem Krieg verweigern, ist schon lange überfällig“, betont Rudi Friedrich vom Kriegsdienstverweigerungs-Netzwerk Connection e.V..
Friedrich hatte am Vormittag des 15. Mai dem Büro der Europäischen Kommission in Berlin knapp 50.000 Unterschriften überreicht, die die Kriegsgegner*innen in den vergangenen Wochen für einen Aufruf gesammelt haben, der den bedingungslosen Schutz der Kriegs- und Militärdienstverweigerer*innen aller Länder fordert. Die Praxis sieht heute noch ganz anders aus. Vor allem Menschen, die ihre Heimat verlassen, bevor sie in die Fänge der Militärs geraten, würden in Deutschland oft kein Asyl erhalten. „Für die Asylbehörden spielt es keine Rolle, dass Menschen einfach Angst um ihr Leben haben und sich deswegen den Militärdienst verweigern“, so Friedrichs Kritik. „Es spielt für die Behörden oft auch keine Rolle, dass Menschen sich nicht auf die Straße trauen, aus Angst, zum Militär eingezogen zu werden.“
Prozesse gegen Kriegsdienstverweigerer
In Zukunft wollen die Pazifist*innen der drei Länder enger zusammenarbeiten. Einige Projekte sind in Planung, darunter regelmäßige Informationen über Repressionen gegen Kriegs- und Militärdienstverweigerer*innen. Sheliazhenk berichtete über mehrere Prozesse gegen Kriegs- und Militärdienstverweigerer in der Ukraine in den nächsten Wochen.
Er wünscht sich dafür eine größere Aufmerksamkeit aus dem Ausland, auch aus Deutschland. In einer Zeit, in der immer neue Waffenlieferungen an die Ukraine als Akt der Solidarität bezeichnet wird, geben diese Pazifist*innen dem Wort wieder seine ursprüngliche Bedeutung zurück. Gefordert ist Solidarität mit den Menschen in allen Ländern, die Nein zum Krieg sagen.
Erstveröffentlichung in „Freitag“ vom 16.5. 23
Wir danken dem Autor für die Abdruckgenehmigung.